Brief eines Vaters an seinen beschnittenen Sohn: Nix für ungut!
Beschneidung von Säuglingen ist für Juden ein Gebot. Für Jungen bedeutet es: OP, Vollnarkose, Schmerzen. Ein Brief eines Vaters an seinen beschnittenen Sohn.
Lieber Elia,
nun hast Du es also hinter Dir, und vielleicht geht es ja nur Dich etwas an. Aber Deine Mutter meinte, ich solle das vielleicht doch mal aufschreiben, wie das war mit Deiner Beschneidung, damit Du eines Tages, also jetzt, wenn Du lesen kannst, nachlesen kannst, wie das war, damals. Und das nun auch in der Zeitung, weil es einige betrifft - und viele nichts über Beschneidungen wissen.
Zunächst: Dass Du beschnitten werden würdest, stand eigentlich schon vor Deiner Geburt fest. Deine Mutter ist eine Jüdin - und vor unserer Hochzeit machten sie und ich einen Deal, den Du vielleicht etwas banal findest, der aber Konsequenzen für dich hatte: Unsere Kinder, so wir welche haben sollten, würden meinen Nachnamen und ihre Religion haben. Und das bedeutete für Dich: Beschneidung!
Nun hast Du es ganz geschickt angestellt, denn Du kamst fünf Wochen zu früh auf die Welt - und entzogst Dich so, als Frühchen, der Beschneidung. Denn die soll den religiösen Gesetzen nach eigentlich am achten Tag nach der Geburt stattfinden. Aber ein Frühchen beschneidet man nicht. Das wäre zu gefährlich. Und im Krankenhaus, wo die Beschneidung geschehen sollte, sagte man uns, dass man dann warten solle, bis Du ein Jahr alt bist. Dann nämlich könne Dein kleiner Körper, genauer: vor allem Deine Leber, die Vollnarkose verkraften, die nötig ist bei einer Beschneidung durch einen erfahrenen Chirurgen, was wir natürlich aus Sorge um Dich wollten.
Wir ließen es also ruhig angehen. Doch sobald Du ein Jahr alt warst, setzten wir immer wieder Beschneidungstermine an, die Du dann aber, leicht perfide, immer wieder platzen ließest: Mal hattest Du eine Platzwunde auf der Stirn, weshalb der Anästhesist eine Operation ablehnte. Mal warst Du wegen der Eingewöhnung in die Kita so schlecht drauf, dass wir Dir nicht auch noch eine Operation aufhalsen wollten. Mehrmals aber bekamst Du kurz vor der entscheidenden Woche Schnupfen - und auch da wollten die Operateure das Risiko des Eingriffs nicht in Kauf nehmen.
Einen neuen Versuch unternahmen Deine Eltern dann im Spätsommer 2007 - Du warst gerade zweieinhalb Jahre alt. Eine Ferienwoche nahe der Ostsee sollte Deinen Dauerschnupfen heilen, so haben wir uns das gedacht. Dann noch zehn Tage in Berlin, damit die Wunde an Deinem Penis verheilen kann. Tatsächlich bekamen wir noch einen Termin für die Beschneidung im Jüdischen Krankenhaus von Berlin. Du glaubst gar nicht, wie langsam die vier Tage verstrichen zwischen der Vereinbarung des Termins und der eigentlichen Operation: Wir behandelten Dich wie ein rohes Ei, packten Dich in mehrere Pullover und Socken, damit Du ja keine Erkältung bekommst. Dann war es so weit, an einem Dienstag kamst Du unters Messer.
Du kannst Dir vorstellen, dass wir ein ziemlich schlechtes Gewissen hatten, Dir eine solche Operation zuzumuten - und dann noch mit Vollnarkose, denn anders wird es in diesem Alter nicht mehr gemacht. Nicht auszudenken, wenn Dir bei der Beschneidung selbst oder durch die Betäubung etwas zugestoßen wäre. Darf man einem Kind solchen Gefahren aussetzen, ohne dass ein medizinischer Grund dies erzwingt? Kann Religion dies rechtfertigen? In der Nacht vor der Operation schlief ich sehr schlecht. Dass ich die Operation geschehen ließ, mag Dir heute brutal erscheinen. Ich könnte das verstehen.
An dem Morgen der Operation brachte ich Deine Schwester in die Kita. Sie fand das alles sehr aufregend und erzählte Hinz und Kunz davon. Deine Mutter fuhr Dich ins Krankenhaus - die Operation verlief komplikationslos. Gott sei Dank! Auch der Religion wurde Genüge getan, der Operateur sprach den geforderten Segensspruch. Deine Mutter hat erzählt, dass Du aufgrund der sehr sanften Narkose unmittelbar nach der Operation aufgewacht bist und sofort anfingst, zu schreien wie am Spieß. Dabei solltest Du nicht schreien, denn das führte zu neuen Blutungen an Deinem nun beschnittenen Penis.
Als ich Deine Mutter am Nachmittag nach der Operation mit Deiner Schwester besuchte, war Deine Mama völlig fertig. Geweint hatte sie auch schon, der Operateur hatte sie zu trösten versucht. Verzweifelt klammerte sie sich an den Zuspruch einer Krankenschwester, die gesagt hatte, dass Du Deiner Mutter eines Tages danken würdest für die Beschneidung. Tja, hoffentlich!
Die ersten Tage nach der Beschneidung waren ein Horror - für Dich vor allem, aber auch für uns. Du wolltest zunächst keine Windeln anziehen und hast dafür alles vollgepinkelt: Bettlaken und Teppiche vor allem. Immerhin, das Pinkeln funktionierte einwandfrei. Ab und zu gab es Blut in der Windel, wir riefen mehrmals das Krankenhaus deshalb an, aber die meinten, das sei schon okay.
Du liefst meist halbnackt durch die Wohnung. Als wir am ersten Tag beim Abendessen waren, legten wir eine Serviette auf Deinen Penis, damit die Wunde nicht beschmutzt wird: Stolz hast Du die Serviette hochgehoben, als Deine Nachbarsfreundinnen vorbeikamen, um nach Dir zu sehen. Was Du dabei zu ihnen sagtest, irgendetwas mit "Bänis", war kaum zu verstehen - wie wir überhaupt selten genau verstehen, was Du eigentlich sagst. Dein Sprachvermögen hat sich noch nicht sehr entwickelt (vielleicht war das hier mal von Vorteil).
Den größten Ärger aber gab es mit der Mullbinde um Deinen Penis - sie wollte und wollte nicht abgehen! Wir badeten Dich, wie uns vom Arzt vorgeschrieben, mindestens dreimal am Tag, damit sich der Verband langsam lösen würde. Der aber hielt bombenfest, und abziehen sollten wir ihn, so hieß, auf keinen Fall. Du beklagtest Dich über den Verband, er sei so eng, so übersetzten wir Dein Klagen.
Am Sonntag, fünf Tage nach der Operation, ging ich schließlich noch mal mit Dir zum Operateur, der mich beruhigte: Die Wunde sehe gut aus, keine Entzündung. Wenn der Verband in zwei Tagen noch nicht ab sei, sollten wir noch mal ins Krankenhaus kommen. Aber er werde schon abgehen, keine Angst. Bei den hunderten Beschneidungen, die er gemacht habe, sei es erst zweimal nötig gewesen, den Verband mit einer Schere aufzuschneiden, sagte der Arzt. Dann drückte er mir die Hand, sehr herzlich und lange. Abschneiden, mit einer Schere!
Aber Gott sei Dank hast Du das alles noch gar nicht verstanden. Dafür warst Du ziemlich tapfer in der Klinik. Und ausnahmsweise durftest Du nachts auch immer bei Mama schlafen, während ich im Kinderzimmer übernachten musste. Das Ganze hatte also auch Vorteile, zugegeben: kleine. Auch der riesige Feuerwagen, den Du von Deiner Mutter bekommen hast, hat Dich etwas entschädigt. Sie hatte ihn Dir versprochen unmittelbar nach dem Eingriff, damit Du aufhörst zu weinen.
Du hast Dir das gut behalten und zielsicher den teuersten ausgewählt. Deine Mutter hat die enorme Rechnung klaglos bezahlt - auch eine Form, das schlechte Gewissen zu beruhigen. Natürlich machten wir uns permanent große Sorgen. Ich fragte mich immer wieder: Was soll der ganze Scheiß! Und das alles nur, weil so etwas in einem 2.500 Jahre alten Buch eines Wüstenvolkes steht! Ich achte und mag doch vieles am Judentum. Aber wäre ein schönes jüdisches Leben nicht auch ohne Beschneidung möglich?
Eine Woche nach der Operation war der Verband, abgesehen von einem kleinen Zipfelchen, immer noch nicht ab. Ich ging also wieder ins Krankenhaus mit Dir - Du weintest, sobald ich die Windel öffnete. Ich hätte mitheulen können, erlaubte es mir aber nicht. Zwei Ärzte besprachen die Lage, dann wurde entschieden: Der Verband muss ab. Eine süße Krankenschwester nahm ein kleines Becherchen, füllte es mit Leitungswasser, drückte Deinen winzigen Penis hinein, sprach Dir gut zu, dann warteten wir. Ich versuchte, Dich zu trösten. Weil Du immer wieder geheult hast, las ich Dir ein Kinderbuch vor, um Dich abzulenken. Es hat wenig gebracht. Die Krankenschwester sagte, wir hätten doch viel früher am Verband ziehen sollen. Da endlich löste er sich etwas. Beherzt griff die Krankenschwester nach einem Ende des Verbandes und zupfte ihn schnell und geschickt ab. Endlich! Der Penis meines Sohns war frei!
Danach ging es bergauf mit Dir. Die Schwellung um Deinen Penis ging zurück, die Fäden um die Wunde lösten sich nach und nach, die dauernde Baderei morgens, nachmittags und abends konnten wir etwas reduzieren. Bei einem Bad passierte noch ein Missgeschick: Wir wollten eigentlich unseren Eltern zunächst einmal nichts von der Beschneidung und den daraus folgenden Komplikationen sagen, um nicht ihre Einwände und Sorgen mittragen zu müssen. Stattdessen sollten sie vor vollendete Tatsachen gestellt werden, was besser für alle wäre, dachten wir. Aber natürlich kam es, wie es kommen musste, Deine Schwester plapperte am Telefon im Gespräch mit den Eltern Deiner Mutter alles haarklein aus: Deine Großeltern bekamen fast einen Herzinfarkt! Aber lachen mussten wir trotzdem.
Jetzt bist Du also beschnitten, und, zugegeben, das sieht nicht schlecht aus, ästhetisch betrachtet. Nun hören wir von dem und dem, dass er auch beschnitten sei - aus hygienischen und medizinischen Gründen meist. Deine Mutter verwickelte sich in eine längere E-Mail-Diskussion über das Thema mit einem Freund, der das ziemlich doof fand, was wir mit Dir angestellt haben.
Zwei Frauen erzählten mir, dass es mit beschnittenen Männern besser sei im Bett. Ein Freund von mir, der beschnitten ist, berichtete mir, was sein Arzt ihm vor der Beschneidung gesagt habe: "Vor der Operation: Pistole - nach der Operation: Kanone!" Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber ich wünsche es Dir. Damit nicht nur der Religion Genüge getan ist, sondern Du auch etwas davon hast. Also, nix für ungut!
Alles Liebe!
Dein Vater.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Liberale in der „D-Day“-Krise
Marco Buschmann folgt Djir-Sarai als FDP-Generalsekretär