Brexit-Kampagne „Leave Means Leave“: Die Brexiteers machen mobil
Beim EU-Gipfel in Salzburg kam es zum Eklat. Das bildet die perfekte Steilvorlage für eine neue britische EU-Austrittskampagne.
Die meisten, die hier vor dem in die grün-hüglige Moorgegend geschmissenen Sportkoloss neben einem nur mit dem Auto zu erreichenden, mit EU-Geldern gebauten Einkaufsquader warten, sind im Rentenalter. Es geht ihnen um die Demokratie, erzählen sie, um die Einwanderung aus Osteuropa – und um den Brexit. Manche sind auch jünger. Die Brüder Sam und Nathaniel Lowton aus Wigan, 28 und 29, sind „gegen die europäischen Multis“ und „dafür, dass wir unsere eigenen Gesetze machen können“. Die 54-jährigen Hausfrauen Zoe Neinvy und Janice Kaeney aus dem ehemaligen Kohlepott Ost-Yorkshire wollen, „dass Europa uns nicht sagen kann, wie wir mit Islamisten umzugehen haben“.
Drinnen ist alles organisiert. „Leave Means Leave“, jene Kampagnengruppe, die sich für einen „sauberen Brexit“, einsetzt, startet genau hier heute ihren Kampf für einen EU-Austritt ohne Wenn und Aber. Es gibt Baseballkappen zu kaufen, auf sämtlichen Stühlen liegen kleine britische Fähnchen, Autoaufkleber und rot-blaue A3-„Leave Means Leave“-Plakate, auf denen steht: „Stoppt den Verrat am Brexit“ oder „Glaubt an Großbritannien“.
Als erste prominente Rednerin kommt Kate Hoey, Labour-Abgeordnete aus London-Vauxhall, mit den Worten „Mein Land kommt vor meiner Partei“. Es ist eine Anspielung auf den Labour-Parteitag, der weiter westlich in Liverpool beginnt. Dort ist ein Hauptthema, ob Labour sich für ein zweites Brexit-Referendum ausspricht. Verstorbene Labour-Galionsfiguren wie Tony Benn und Barbara Castle, sagt Hoey dazu, „würden sich im Grabe umdrehen“. Diejenigen, die mit dem Brexit gegen ein antidemokratisches neoliberales Europa stimmten, würden nun als dumm oder rassistisch dargestellt. Hoey spricht vom elitären London und von vorurteilsbeladenen Medien. Der Saal tobt. Hoey fügt noch ein paar Sätze zu ihrer Heimat Nordirland an, einer der größten Stolpersteine auf dem Weg zu einer Brexit-Vereinbarung zwischen London und Brüssel: Der einzige Grund, weswegen es je eine harte Grenze in Nordirland gegeben habe, sei die IRA gewesen. „Was für ein Land sind wir, wenn wir uns wegen ein paar Gangstern und Hooligans erpressen lassen?“
„No Deal, No Problem!“
Bis hierhin muss sich Nigel Farage gedulden, der eigentliche Star des Tages. Für ihn ist „Leave Means Leave“ eine Art Wiederauferstehung, nachdem er sich 2016 nach dem Referendum aus der Politik zurückgezogen hatte. Jetzt ist er wieder da, in alter Form.
„Gut, dass das Stadion heute einen neuen Namen hat, denn als ich das letzte Mal hier war, hieß es noch Macron-Stadion“, witzelt er über diesen wahren Namenszufall. Farage, er sieht gealtert aus, steht vor dem Publikum und hebt beide Arme hoch: „Schaut, wie sie sich in Salzburg benommen haben, Juncker, Barnier, Tusk“ – die Menge erwidert laut mit „Buh, Buh“ – „wie sie unsere Premierministerin behandelt haben.“ Auch er spricht Labour direkt an. „Wieso ein zweites Referendum, wenn die Parlamentswahl 2017 bereits als zweite Wahl zum Brexit verstanden werden kann?“ Schließlich plädiert der einstige Ukip-Führer für einen Brexit ohne Deal mit der EU. „No Deal, No Problem!“
Von den Konservativen tritt Ex-Brexit-Minister David Davis auf und fordert ebenfalls einen „wahren Brexit“. Er spricht von der Liebe zu Großbritannien, das weniger als ein Prozent der Weltbevölkerung ausmache und doch „so einflussreich, so effektiv, so großartig“ sei.
Deutlich wird: „Leave Means Leave“ will vor allem ein zweites Referendum verhindern. Eine ehemalige Helferin der Brexit-Referendumskampagne verrät der taz, man fürchte, dass manche Wähler, die damals politisch nicht interessiert waren, sich aber beteiligten, nicht noch einmal zu einer Wahl gehen würden.
Die Versammlung ist am Ende so schnell und ordentlich vorbei, wie sie begonnen hatte. Im Einkaufszentrum gegenüber erzählt der 39-jährige Iftikhar Khan, der nicht auf der Veranstaltung war, dass er vom rassistischen Trump-Unterstützer Farage nicht beeindruckt sei. Die Immigranten aus Osteuropa in Bolton seien keine schlechte Sache. „Wenn sich Engländer*Innen von Ausländer*Innen, die nicht gut Englisch sprechen und nicht gut qualifiziert sind, den Job nehmen lassen, sagt es doch mehr über die Leute aus, die gegen die Migranten mobil machen.“
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