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■ QuerspalteBreschnew in Bonn

Das Außenministerium will eine Fuhre Verdienstkreuze an seine Diplomaten verteilen, damit sie sich nicht mehr so oben ohne fühlen müssen. Begründung aus Bonn: Botschafter anderer Staaten würden ja auch mit reichlich Lametta umherstolzieren.

Was steckt dahinter? Ein geheimnisvoller Brustneid, den Freud übersehen hatte? Mitnichten, die spießigen Unsitten der DDR vermiefen immer mehr die freie Luft des Westens. Die böse Bonner Republik kolonisiert den armen Osten – Moralpädagogen von Günter Grass bis Inge Meysel hämmern solchen Unsinn in die Köpfe der zerknirschten Wohlstandslinken. Es ist genau umgekehrt: Thüringer Musikanten zerstören nachhaltig die Reste westlicher Hörkultur, realsozialistische Propagandamaler erfreuen Westbanausen mit klerikalem Kitsch, und jetzt wird auch noch der Blechkult salonfähig.

Im Westen galten Orden als ein skurriles Relikt aus feudalen Zeiten, etwas für Karnevalisten und Schützenvereine. Nur ein paar Intellektuelle nahmen das Blechspielzeug ernst und lehnten Vedienstkreuze mit großer Pose ab.

Im Osten dagegen trieb der Ordenskult üppige Blüten. Zwar hatten die Bolschewiki im Zuge der Oktoberrevolution kurzzeitig alle Ehrenzeichen abgeschafft, doch schon bald führte Trotzki sie wieder ein. Der bürgerliche Lapsus des Revolutionärs entfaltete sich im Stalinismus zu rokokohafter Pracht. Das dekadente Endstadium verkörperte Leonid Breschnew, dessen Wampe glänzte wie die Uniformen der Blechbüchsenarmee. Ein offizielles „Verzeichnis der staatlichen Auszeichnungen der DDR“ umfaßte über 150 Orden, vom „Verdienten Volkskontrolleur“ bis zum „Verdienten Züchter“. Jeder bekam irgendeinen albernen Anstecker, damit er schön brav blieb.

Wehren wir also den Anfängen! Beschützt die Bonner Republik vor den Unsitten der roten Preußen! Ich fange schon mal an: Für diesen Text möchte ich ein Honorar (in DM-West [wenn schon, dann Ostmark. d.sin]) und keine Medaille „Held der Arbeit“. Michael Miersch

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