Bremer Staatsrat über Methadon-Haarproben: "Schon ein ziemlicher Eingriff"
Werden in ihrem Umfeld Drogen konsumiert, nimmt Bremen Kinder trotzdem nicht automatisch aus ihren Familien. Ein Gespräch mit Sozialstaatsrat Horst Frehe.
taz: Herr Frehe, warum testet Bremen Kinderhaare?
Horst Frehe: Es gab den Verdacht, dass substituierte Eltern einen Beikonsum mit anderen Stoffen hatten und davon auch Kinder betroffen sein könnten.
Was haben die Haarproben ergeben?
Wir haben bislang 103 Gutachten für Kinder unter 14 Jahren. Davon waren 81 positiv. Härtere Drogen fanden sich bei 65 Proben, bei 16 nur Cannabis, bei acht nur Methadon. Wie die Stoffe in die Haare gelangt sind, konnten die Fachleute nicht eindeutig klären. Es gibt die These, dass vor allem Methadon durch den Schweiß der Eltern und Körperkontakt übertragen wird. Wir gehen davon aus, dass die Drogen den Kindern in den allerwenigsten Fällen vorsätzlich verabreicht worden sind.
Ist die Gesundheit gefährdet?
Zu dieser Frage gibt es keinen validen Grenzwert. In den meisten Fällen war die Menge so gering, dass sie in einem Gerichtsgutachten über die Fahrtauglichkeit eines Erwachsenen nicht angegeben worden wäre. Es würde dort heißen: Der Wert liegt unter der Nachweisgrenze. Insgesamt 8 von 103 Haarproben lagen über diesem Wert. Wir sagen aber: Jeder Drogenfund, und sei er noch so gering, ist ein Alarmzeichen.
Welchen Effekt haben die Haartests?
Wir bekommen eine Vorstellung, ob und welche Drogen im Umfeld der Kinder konsumiert wurden. Das bietet Anlass, das mit den Familien zu besprechen.
Wann nehmen Sie Kinder aus den Familien?
61, Volkswirt und Jurist. Der ehemalige Sozialrichter ist Staatsrat in der Bremer Sozialbehörde.
Wir haben das in 16 dieser 103 Fälle getan. Kriterium ist nicht allein, ob ein Stoff gefunden wurde, sondern ob die Eltern ihren erzieherischen Aufgaben gerecht werden können. In Bremen schließt das Jugendamt mit Substituierten Kontrakte, wenn diese mit Kindern im Haushalt leben. Die Betreffenden willigen darin unter anderem schon im Voraus in die Teilnahme an Drogentests ein. Die Case-Manager leiten das dann im Verdachtsfall in die Wege. Halten Eltern sich nicht an die Kontrakte, ist anzunehmen, dass sie ihrer Verantwortung nicht gerecht werden.
Was spricht dafür, die Kinder bei süchtigen Eltern zu lassen?
Die Herausnahme aus der Familie ist immer ein traumatisches Erlebnis für ein Kind. Das kann für sein ganzes Leben prägend sein. Außerdem lässt das Grundgesetz einen solchen Eingriff nur zu, wenn das Kindeswohl erkennbar gefährdet ist. Da sind Familiengerichte streng.
Die Familien brauchen Kontrolle und Hilfe rund um die Uhr. Reicht das Geld dafür?
Das muss man sich nehmen. Wir haben in fast all diesen Familien sozialpädagogische Familienhelfer, die sie eng begleiten, wir haben in der Fallbearbeitung das Vier-Augen-Prinzip, Fallkonferenzen, und achten sehr auf interdisziplinäre Zusammenarbeit. Dabei sind das Drogenhilfesystem und die behandelnden Ärzte wesentliche Partner.
Hamburg scheut Haarproben. Man befürchtet, dass Familien aus dem Hilfesystem flüchten.
Diese Erfahrung haben wir nicht gemacht. Aber es stimmt: Man muss die Betroffenen mit viel Fingerspitzengefühl gewinnen.
Um mit Eltern Verträge zu schließen, muss man sie erst mal erreichen. Wie schaffen sie das?
Meist über Meldungen beim Jugendamt. Zum Beispiel wenn Erziehern auffällt, dass ein Kind sehr ruhig in eine Kita kommt. Es melden sich auch Eltern selbst.
Und doch erreichen Sie nicht alle. Die Eltern entbinden in den Verträgen ja die Ärzte von der Schweigepflicht, so dass das Jugendamt Dinge erfährt. Warum sagt nicht auch umgekehrt das Jugendamt den Ärzten, welche Methadon-Substituenten Kinder haben?
Gegenwärtig ist der Informationsfluss nur in eine Richtung möglich. Es gibt aber den Runden Tisch mit der Kassenärztlichen Vereinigung und allen Beteiligten. Wir versuchen, das System noch dichter zu machen, etwa durch stärkere Beigebrauchskontrollen.
Planen Sie Routine-Screenings für Kinder?
Wir beraten das noch. Es ist schon ein ziemlicher Eingriff in die Familien, wenn das Jugendamt Haarproben veranlasst. Das Screening, also die Untersuchung aller Kinder auch ohne konkreten Anlass, war bislang einmalig. Ansonsten nehmen wir bei Erwachsenen und bei Kindern Haarproben, wenn es Auffälligkeiten gibt.
Die Pflegeeltern der jetzt in Hamburg an Methadon gestorbenen Chantal waren abhängig. Testet Bremen Pflegeeltern auf Drogen?
Pflegeeltern müssen ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen und eine ärztliche Bescheinigung. Eine Sucht ist ein Ausschlusskriterium. Hamburg regelt das ja jetzt ähnlich.
Haben Sie einen Ratschlag für Hamburg?
Mit Ratschlägen sollte man sich zurückhalten. Wir versuchen, unser System zu verbessern und sind froh, wenn das gelingt.
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