: Bremer Haushalt wird in Bonn gemacht
■ Bürgerschaft verfügt über weniger als 10 Prozent des Landesetats / Zinsen, Finanzausgleich und Bundesgesetze bestimmen über die Bremer Ausgaben / „Schuldenfalle“ in Sicht: Mehr Zinslasten als neue Kredite
Zehn Stunden lang hat gestern die Bürgerschaft über den Haushaltsentwurf für 1989 debattiert. Heute soll er in der von Finanzsenator Grobecker vorgelegten Fassung beschlossen werden: Ausgaben von 5,6 Mrd Mark, Einnahmen von 4,6 Mrd, eine Milliarde neue Kredite. Damit wird die Verschuldung Bremens bis Ende '89 auf 14,6 Mrd Mark steigen, das sind 22.500 Mark pro Kopf. Doch die großen Zahlen täuschen nur große Entscheidungen vor. Tatsächlich hat die Bürgerschaft lediglich über weniger als zehn Prozent des Landeshaushalts, das sind rund 500 Mio Mark, zu bestimmen. Der ganze große Rest ist durch das Beamtenrecht, durch langfristige Verträge und gesetzliche Bestimmungen des Bundes längst fest vergeben.
Und der Spielraum wird von Jahr zu Jahr kleiner. Schon seit Mitte der 70er Jahre liegen in Bremen die staatlichen Investitionen unter der Summe neuer Kredite. Das ist nach dem Haushaltsgesetz zwar verboten, wird aber alle Jahre per Ausnahmeregelung erlaubt. Und schon in wenigen Jahren werden die Zinsausgaben die Kredite übersteigen.
Spätestens dann steckt Bremen in einer „Schuldenfalle“, die aus vielen Ländern der sogenannten Dritten Welt bekannt ist: Im aktuellen Staatsetat muß ein Überschuß erwirtschaftet werden, um die Forderungen der Banken zu befriedigen. Klappt das nicht, blieben nur zwei Möglichkeiten für Bremen: Entweder der Stadtstaat wird aufgelöst und Nieder
sachsen bürgt für die Schulden, oder der Bund sorgt für einen Finanzausgleich, der dem kleinsten Land Mittel verschafft.
So sieht es jedenfalls der Bremer Finanzwissenschaftler Rudolf Hickel, der im Frühjahr eine umfangreiche Analyse der Bremer Schuldenkrise vorgelegt hatte. Darin weist er nach, daß das Haushaltsloch nicht, wie es CDU und FDP immer wieder behaupten, durch eine verschwenderische Ausgabenpolitik verursacht ist. Im Gegenteil: Der Abbau von 3.800 Stellen in den vergangenen sieben Jahren liegt deutlich über den Personaleinsparungen anderer Bundesländer. Und der nach den Zinszahlungen am schnellsten steigende Haushaltsposten, nämlich die Sozialhilfeleistungen, ist durch Bundesgesetze fest definiert.
Mit dieser Argumentation im Rücken hat Bremen jetzt schon zum zweiten Mal vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Regelungen des Bundesländerfinanzausgleichs geklagt. Denn die Verbesserungen, die es im Anschluß an die für Bremen positive Entscheidung aus dem Juni 1986 gab, werden spätestens mit der Steuerreform und der AfG-Novelle im kommenden Jahr wieder ins Gegenteil verkehrt.
„Der 89er Haushalt ist auch mit einem Wink nach Bonn gemacht“, weiß Rudolf Hickel. Nicht nur die Investitionsquote, die gegenüber dem Anschlag für 1988 im kommenden Jahr um 13,5 Prozent sinken soll, signalisiert, daß die Handlungsmög lichkeiten der Bremer Regierung erschöpft sind.
Als Vorbild einer Lösung präsentierte Finanzsenator Claus Grobecker in der Bürgerschaftsdebatte den neuen Finanzausgleich zwischen Bremen und Bremerhaven, der ebenfalls heute in erster Lesung beschlossen werden soll: Das Land übernimmt 600 Millionen „Altschulden“ der Seestadt und senkt damit deren Zinslasten um jährlich 40 Mio Mark. Dazu entlastet das Land Bremerhaven um Ausgaben von weiteren 67 Mio Mark jährlich. „Dieser kommunale Finanzausgleich ist vorbildlich und durchaus geeignet, auch im Verhältnis der Länder und des Bundes zu den Stadtstaaten angewendet zu werden“, sagte Grobecker gestern mit Blick nach Bonn.
Doch vorerst bleibt es bei einem Geldfluß in umgekehrter
Richtung. Von Bremens Verschuldung profitieren nämlich in erster Linie Großbanken im reichen Bayern und Hessen. Zwar liegen die Zinsen mit durchschnittlich 5,3 Prozent sehr niedrig, dennoch schlagen sie positiv in süddeutschen Bank -Bilanzen zu Buch. Und deren Überschuß wird oft vor Ort oder im Ausland, aber nur sehr selten in Bremen investiert.
„Wir suchen uns täglich am Finanzmarkt die Kredite mit den allergünstigsten Konditionen, auf politische Bedingungen würden wir uns dabei nie einlassen“, weist der Pressesprecher des Finanzsenators, Denkmann, den Verdacht zurück, Bremens Haushalt würde nicht etwa in der Bürgerschaft, sondern in süddeutschen Banken und Konzernzentralen entschieden.
Dirk Asendorpf
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