Bremer Hannah-Arendt-Preis: Fickt Putin mit Arendt!
Der Bremer Hannah-Arendt-Preis geht diesmal an KünstlerInnen, die das russische Establishment provozieren - die Band Pussy Riot und den ukrainischen Dichter Juri Andruchowytsch.
BREMEN taz | Leider, leider hat der eine Preisträger, Juri Andruchowytsch, seine wilde Performance-Zeit weitestgehend hinter sich und tritt bei den Lesungen mehr so im Anzug auf. Und leider, leider kommen die Pussy-Riot-Frauen Nadeschda Tolokonnikowa und Maria Aljochina nicht nach Bremen: Deshalb verheißt die Hannah-Arendt-Preis-Vergabe an diese drei möglicherweise mehr Spektakel, als sie am kommenden Freitag wirklich wird einlösen können. Was schade ist, denn im Medium des Happenings wäre die enge Geistesverwandtschaft von Bu-Ba-Bu-Literat Andruchowytsch und Pussy-Sängerinnen deutlich geworden.
Denn so von außen könnte man ja denken: Suhrkamp-Autor und Punk-Aktivistinnen haben wenig gemein, außer dass Putin ihr Feind ist. Sie zusammenzupacken würde dann eher von einer politischen Absicht der Jury und des Hannah-Arendt-Preis-Vereins zeugen, als der Namenspatronin oder den Geehrten irgendwie gerecht zu werden. Und es gibt ja auch große Unterschiede. So scheint Andruchowytsch das für Aljochina und Tolokonnikowa elementare Genderthema recht fremd.
Doch beide treffen sich im Neo-Dadaismus, der die Autoritäten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kirchen provoziert. Denn „fickt die Sexisten, die verfickten Konformisten“, wie es Aljochina und Tolokonnikowa ausdrücken, bedeutet letztlich: „Fickt die Sexisten, die verfickten Putinisten!“ Die künstlerische Rebellion aber deckt, besser als alles andere, eine subkutane Verbindung zwischen gegenwärtigen und historischen Bewegungen in Osteuropa auf: Die Aktionen der Literaten-Gruppe „Bu Ba Bu“ prägten die ukrainische Unabhängigkeitsbewegung der späten 1980er-Jahre mit, sie gehörten wieder zu den Euro-Maidan-Protesten, und sie ähneln in ihren Inszenierungen des Absurden den Guerilla-Interventionen der Russinnen.
Pussies und Bubabuisten lassen also in der Wahl ihrer künstlerischen Mittel die Bewegungen als verwandt und revolutionär im Sinne Arendts erkennen – als Bewegungen nämlich, deren „Ziel heute wie eh und je nichts anderes sein kann, als eben die Freiheit“. Und die zwar als „Ergebnis sehr bestimmter Ereignisse und Taten von Menschen, die man namhaft machen kann“ zu erkennen sind – aber eben nicht von außen gesteuert oder gar organisiert, keine Verschwörung. Sie sind Orgasmus, reines Ereignis, und sei es nur der Aufstand einer übergeschnappten Metro-Kassiererin in Kiew, die „durch ihr Fensterchen einem besonders aufdringlichen Klienten den Bleistift ins Auge bohrt“, wie Andruchowytsch in seiner „kleinen intimen Städtekunde“ beobachtet, als er sich, auf der Suche nach einem Klo, versehentlich in die U-Bahn verirrt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen