: Bremer Börsen Baisse: Vulkan im Keller
■ Private Kleinanleger bescherten auch den Bremer Banken einen pausenlosen Arbeitstag
„Ich hab hier 'ne Order von 100 Massa Bestens.„-„Nee, will ich nicht haben.„-„Dann nimm den Frankfurter Kurs und zieh fünf Mark ab.“ Eine von unzähligen Szenen, die gestern mittag in der Bremer Börse den Eingeweihten die Dramatik des Kursverfalles vor Augen führte. Die amtliche Börse wurde bis halb drei verlängert und insbesondere in der letzten Stunde herrschte hinter den
Kulissen das „Chaos“. So notierte beispielsweise der Bremer Vulkan um halb drei bei 95 Mark. Ein Kursverlust von über zwanzig Prozent gegenüber der Freitagsnotierung.
Dennoch: Als die Bremer Makler beim nachmittäglichen außerbörslichen Handel eine leichte Konsolidierung der Aktienkurse feststellen konnten, war ihnen trotz des dramatischen
Kursverfalles so manches erspart geblieben, was den KollegInnen an den Wertpapierbörsen von Frankfurt (Zusammenbruch der Technik wegen Überlastung), Paris (Handel wegen immenser Verluste vorübergehend eingestellt), Singapur oder Hongkong (größter Börsencrash seit Bestehen) den gestrigen Montag in so schlechter Erinnerung behalten läßt.
In der Bremer Börse an der Obernstraße war schon der Blick auf die unzähligen Monitore notwendig, um zu erahnen, daß dieser Tag kein gewöhnlicher war. Am Ort des Geschehens, in der marmornen Kühle der Maklerschalter spiegelte sich die Turbulenz des Aktienmarktes kaum wider. Die Anzahl der Broker reichte auch gestern nicht zum unübersichtlichen Stimmengewirr. Nur wer genauer hinhörte, vernahm zwischen den gebrüllten Verkaufsordern einen deutlichen Kommentar: „Deutsche Aktien sind nichts mehr wert.“
Die Kursverluste von durchschnittlich zehn bis zwölf Prozent (eine theoretische Vernichtung von Aktienkapital im Wert von 61 Milliarden Mark) stellen nach Einschätzung der Wertpapierabteilung des Bankhauses Neelmeyer den „schlimmsten Tag der deutschen Börsengeschichte“ dar. In der Hauptsache private Kleinanleger, so die Erfahrung auch der übrigen Bremer Banken, hätten mit Geschäftsbeginn große Aktienmengen zum Verkauf freigegeben. „Erstaunlicherweise ohne Beratung“, so die Bremer Landesbank, sei die Kundschaft zu diesen panikartigen Verkäufen übergegangen. Ihr Ratschlag, die „Entscheidung doch wirtschaftlich zu begründen“ und die Verweise der hauseigenen Anlageberater auf die Sonderentwicklung
in den USA, die allein den Crash am Freitag verursacht hatte, seien auf taube Ohren gestoßen.
„Die Vielzahl der Aufträge“, so die Einschätzung der an der Bremer Börse beschäftigten Makler, „läßt auf einen breiten Markt verängstigter Leute schließen“. Offensichtlich, so ihr vorläufiges Fazit, sei das die Reaktion auf den „Schwarzen Montag“ im Jahre 1987 gewesen. Damals hatten vorwiegend institutionelle Anleger verkauft und damit den Kleinaktionären, die zu lange gezögert oder nicht lange genug gewartet hatten, erhebliche finanzielle Verluste beschert. So scheint das massenhafte Verkaufsverhalten, das Sprecher der Großbanken mit einem Hinweis auf die „robuste Konjunktur und solide deutsche Unternehmen“ als „psychotisch„üund „völlig übertrieben“ bezeichneten, massiven Ängsten vor allzu großem Wertverlust entsprungen zu sein.
Nutznießer der gestrigen Baisse scheint die „Kulisse“ zu sein, wie die Fonds, Banken und freien Makler im Börsenjargon genannt werden. Die, die kurzfristig ihre Geschäfte mit der Spekulation machen, konnten bereits am Nachmittag frohlocken. Der Kurs der VW-Aktie, von 473 Mark auf 395 Mark bei Schließung der amtlichen Börse gesunken, lag um 17 Uhr schon wieder bei 445 Mark.
anh
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