■ Urdrüs wahre Kolumne: Bremen goes Broadway
In dunklen Konfirmandenanzügen wußten Frau Senatorin Kahrs und Herr Senator Perschau gestern im CieCieBie bei der Präsentation des Mjusicäls von den Herren Dr. Jekyll und Mr. Buecheler zu überzeugen. Der Letztgenannte durfte auch noch bißchen was reden nach der heimatkundlichen Dia-Schau „Wir erklären Bremen zum Broadway“und brachte sich damit in nicht unerhebliches Risiko. Versicherte doch der Herr Mjusicäl-Produzent, daß es ohne die Hilfe von Perschau nie zu den künftigen Ereignissen gekommen wäre, und das wird sicher irgendwann gegen den Herrn Senator verwendet werden. Erste Tretminen wurden bereits durch den Hinweis gelegt, daß die Macher des Mega-Ereignisses in ihrer perspektivischen Kalkulation fest die Massen eingeplant haben, die zum Besuch von Space- und Oceanpark nach Bremen kommen sollen. Ansonsten haben zwei junge Leute mit guten englischen Sprachkenntnissen sehr nett gesungen, und Helga Trüpel trug eine sehr hoffnungsvolle lindgrüne Jacke. Das war so in etwa das Wesentliche.
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Der Metropolitan-Verlag ermuntert mich zum Motivationskurs „Der Delphin-Verkäufer“, und als Flipper-Enthusiast wäre ich fast zur Anmeldung geneigt gewesen, aber die begleitende Buch-Empfehlung „Verkaufen ist wie Liebe“ließ mich dann doch Abstand nehmen.
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Apropos Liebe verkaufen: In der feuchten Fließsatz-Spalte des Weserkuriers bietet gestern eine Abiturientin ihre horizontalen Dienste an, und da fragen wir uns natürlich mit Bruder Tacke und dem einen oder anderen grünen Bundestagskandidaten, ob das Mädel ihre Reifeprüfung an der Gesamtschule West, an der Katholischen Privatschule oder am Alten Gymnasium abgelegt hat –mann will schließlich wissen, mit wem man es zu tun bekäme. Immerhin: Die letzte Abifete am AG fand als Rotlicht-Mottoparty statt.
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Ein wirklich rasanter Radler überholt mich beim Schlendern über die noch nicht geöffnete Osterwiese und gibt dabei gehässige Schimpfworte über meine äussere Erscheinung von sich, die andere unweigerlich in die Magersucht getrieben hätten. Die Strafe aber kommt auf den Fall: Er rollt über ein Versorgungskabel und daraufhin fällt aus seinem Fahrradkorb ein ganzer Container mit Bierflaschen heraus. Der Blick auf den Scherbenhaufen machte klar, wes Geistes Kind hier Amok fuhr: Gerstel Pils alkoholfrei. Und dazwischen liegt auch noch ein Becher Magerquark.
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Besucht die Kaufhalle, solange es sie noch gibt: Der böse Onkel Metro und der Kaufhof wollen diese wohl charmanteste Einzelhandelskette dieser Republik schlucken und damit endgültig jede Erinnerung an eine Design-kultur zerstören, mit der die Generation der 68er groß wurde und die als soziales Biotop für die Underdogs im Lande auch diesen immer noch Gelegenheit bot, nicht nur im Sonderpostenladen einzukaufen, sondern sich in besten Citylagen mit halblangen Unterhosen und ganz langen Küchenmessern einzudecken. Und dann erst das Kaufhalle-Restaurant, wo man noch auf Wackelpudding und Schnitzelwochen hoffen durfte: Hier zeigt sich, daß in der freien Marktwirtschaft am Ende die Bösen triumphieren!
Friede den Bachblüten-Usern, Krieg den Affenfolterern. Meint als Wort zum Freitag sehr sehr nachdrücklich
Ulrich Reineking etc.
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