piwik no script img

Bremen gegen Hertha BSCEin missglücktes Experiment

Hertha BSC wählt die falsche Taktik und geht im Bremer Angriffswirbel unter. Nach dem 2:3 meint Trainer Favre, die Mannschaft habe gut gespielt. Kapitän Friedrich hingegen spricht von Harakiri.

Hertha-Kapitän Friedrich kann Almeida nicht am Torschuss hindern Bild: DPA

Man kann nicht behaupten, dass Arne Friedrich an diesem Nachmittag nicht alles versucht hätte, das Unheil abzuwenden. Lange Zeit war der Kapitän der Berliner Hertha im Auswärtsspiel bei Werder Bremen das kämpferische Vorbild, bestritt die meisten Zweikämpfe; er stand oft richtig, grätschte dazwischen, wehrte ab, wies an. So wie das ein Nationalspieler zu tun hat, der sich bei einem spielstarken Widerpart in zentraler Abwehrrolle postiert. Doch in der Schlussbetrachtung dieses Bundesligaspiels hat auch der formidable Friedrich ziemlich schlecht ausgesehen und nach ungefähr einer Stunde jeden Überblick verloren. Unter dem Strich stand eine 2:3-Niederlage, die vom Resultat her "noch in Ordnung ist", wie Manager Dieter Hoeneß milde urteilte. "Man kann doch in Bremen verlieren."

Aber nicht so. Denn diese Meinung vertrat auffällig offensiv eben Defensivmann Friedrich. In der zweiten Halbzeit habe keiner mehr seine Position gehalten. "Da sind alle Dämme gebrochen. Das war Harakiri", lästerte der 28-Jährige sichtbar erbost über seine Mitspieler. Und es bestehe auch Anlass zu größerer Sorge bei den Berlinern. "So kann man nicht spielen."

Der gebürtige Ostwestfale, nicht gerade beim Hauptstadtklub als Klartextredner bekannt, klagte, einmal in Rage, unverblümt auch die Taktik an, mit der sich die Hertha anfangs im Weserstadion aufgestellt hatte. Lucien Favre vertraute nämlich in der ersten Viertelstunde einer Dreierkette mit Josip Simunic, Steven von Bergen und eben Friedrich, warf das Experiment indes alsbald über den Haufen, um wieder die gewohnte Viererkette zu installieren. Und plötzlich fand sich Simunic im defensiven Mittelfeld wieder.

"Ich wollte das probieren, um mehr Kreativität zu schaffen, das ist nicht so gut gelaufen", flüsterte der Trainer aus der Schweiz hinterher einsichtig. Ginge es nach seinen Spielern, dann hätte es probehalber solch einen Versuch nie gegeben. "Wir haben bisher immer das 4:4:2 gespielt. Mit dem Verschieben hat das nicht geklappt", kritisierte Friedrich, den allmählich eine gewisse Ungeduld befällt. "Wir sind immer noch dabei, die richtige Mannschaft zu finden."

Eine Beschreibung, die auch Hoeneß noch in den Katakomben wählte, um ja keine hektische Debatte ob vier siegloser Bundesligaspiele aufkommen zu lassen. "Er wird noch eine Weile brauchen, bis wir die richtige Abstimmung gefunden haben. Wir haben ja nicht total versagt, sondern haben ein ordentliches Spiel geboten. Im Fußball entscheiden halt Kleinigkeiten."

Oder 45 Sekunden. So lange dauerte es nur, da war in der 62. Minute mitten in den Berliner Jubel über den gekonnten Schlenzer von Gilberto zum 1:1 die erneute Bremer Führung gefallen: Hugo Almeida, der bereits das 1:0 (57.) erzielt hatte, spielte gleich nach dem Anstoß Kopfball-Doppelpass mit Markus Rosenberg, und der Schwede vollstreckte humorlos mit links ins kurze Eck. "Dieses Tor war tödlich", mäkelte Hoeneß hinterher, "das hat alles kaputt gemacht", klagte Favre mit betretender Miene. Hernach mutierte die orientierungs- und hilflose Hertha endgültig zum Spielball des Werder-Angriffswirbels - und weit mehr Gegentore als nur das 1:3 durch Leon Andreasen (74.) wären durchaus denkbar gewesen.

Dass dem eingewechselten Solomon Okoronkwo noch das 2:3 in der Nachspielzeit glückte, schönte nur manche Favre-Erkenntnis dieser Partie. "Wir haben teilweise gut reagiert und phasenweise gut gespielt. Wir waren erst am Schluss überlastet." Das Fazit aus Friedrich-Sicht klang ein bisschen anders: "Nach oben braucht hier keiner mehr zu schauen. Unser einziges Ziel muss sein, den Abstand nach unten groß genug zu halten."

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!