Bremen bundesweit Vorreiter: Tarif für jeden dritten Pfleger
Die Tarifgemeinschaft Pflege Bremen und Ver.di haben den bundesweit ersten trägerübergreifenden Tarifvertrag für die Altenpflege unterschrieben.
Tarifvertrag für Azubis scheiterte 2015
Das wurde im Dezember 2015 deutlich: Damals hatte die Tarifgemeinschaft ihren abgeschlossenen Tarifvertrag für Pflege-Azubis für allgemeinverbindlich erklären lassen wollen, doch der Tarifausschuss des Landes Bremen lehnte ab. Die sechs Mitglieder des paritätisch mit jeweils drei Arbeitgeber- und drei Arbeitnehmervertretern besetzten Ausschusses konnten sich nicht einigen.
Sie brachten in ihren Beratungen nicht die erforderliche Mehrheit von vier Stimmen zustande – zur großen Freude der Arbeitgeber: „Die Entscheidung ist ein Sieg der wirtschaftlichen Vernunft zum Wohle der Bremer Jugendlichen“, sagte damals Rainer Brüderle, Präsident des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (BPA). Denn so hätten „gerade die kleineren Einrichtungen weiterhin die Möglichkeit, Ausbildungsplätze zu schaffen und sich im Wettbewerb zu bewähren“.
Unter Wettbewerb versteht Arnold Knigge, Vorstandssprecher der Tarifgemeinschaft und der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege Bremen (LAG), freilich etwas anderes: „Wettbewerb sollte über Qualität und nicht zu Lasten der Arbeitsbedingungen stattfinden“, sagt er. Er will trotz der Niederlage versuchen, auch den am gestrigen Donnerstag unterzeichneten Tarifvertrag Pflege in Bremen (TV Pflib) vom Senator für Arbeit für allgemeinverbindlich erklären lassen: „Nachdem wir bei den Azubis so kläglich gescheitert sind, wissen wir allerdings noch nicht, wann das konkret geschehen wird“, sagt Knigge.
Der TV Pflib gilt verbindlich für 16 Pflegeanbieter, zu denen unter anderen Arbeiterwohlfahrt, Caritas, Diakonie, Deutsches Rotes Kreuz, Paritätischer Wohlfahrtsverband – und als neuestes Mitglied auch die Bremer Heimstiftung gehören: „Die war bis zur Verhandlung über die Allgemeinverbindlichkeit des Azubi-Tarifvertrages noch Mitglied im kommunalen Arbeitgeberverband und ist nach dem Scheitern zu uns gewechselt“, sagt Knigge.
Arnold Knigge, Tarifgemeinschaft
Der Vertrag sieht einheitliche Vergütungen, verbindliche Zeitzuschläge für Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit, eine Jahressonderzahlung und eine Urlaubsregelung vor. Er gilt in der stationären Pflege der Tarifgemeinschaft ab 1. Juni und in der ambulanten Pflege ab 1. Oktober. „Mit dem Tarifvertrag verbessern wir die Arbeitsbedingungen vieler Beschäftigter im Pflegebereich. Sie werden zukünftig zum Teil mehrere Hundert Euro mehr verdienen“, sagt Ver.di-Landesbezirksleiter Detlef Ahting.
Rückendeckung aus der Politik
Die Beteiligten haben neben dem TV Pflib eine sogenannte „Sozialpartnerschaftserklärung“ unterzeichnet. Darin haben sie vereinbart, über weitere Verbesserungen wie zusätzliche freie Tage oder Zulagen zu verhandeln. „Das Niveau des TV Pflib soll schrittweise auf das Niveau des Tarifvertrages für die Länder (TV-L) angehoben werden“, heißt es dort. „Zudem wurde ein Tarifvertrag für die Auszubildenden in der Altenpflege verhandelt und zwischenzeitlich zum zweiten Mal abgeschlossen. (…) Den Tarifvertragsparteien ist bewusst, dass der Abschluss des TV Pflib einen Einstieg darstellt, für den ein Übergangszeitraum von zwei Jahren vorgesehen ist. Die marktverändernde Wirkung des Tarifvertrages wird dabei unterstützt von politischen Aussagen der Bremer Sozialsenatorin und der Vertreter der Pflegekassen.“
Der letzte Satz spielt auf die im Herbst von Pflegekassen, Wohlfahrtsverbänden und Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) verabschiedete „Bremer Erklärung“ an. Dort heißt es, die Pflegeberufe könnten aufgewertet werden, wenn ihre Bezahlung nach Tarifverträgen verbessert werde. Für Knigge ist das eine politische Rückendeckung, die er benötigen wird: Denn der TV Pflib ist auch Grundlage für die laufenden Verhandlungen mit Kostenträgern wie den Pflegekassen – und Knigge geht davon aus, dass der Tarifabschluss mit „nicht unbeträchtlichen Kostensteigerungen“ verbunden ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trump erneut gewählt
Why though?
Harris-Niederlage bei den US-Wahlen
Die Lady muss warten
Pro und Contra zum Ampel-Streit
Sollen wir jetzt auch wählen?
Pistorius stellt neuen Wehrdienst vor
Der Bellizismus kommt auf leisen Sohlen
Abtreibungsrecht in den USA
7 von 10 stimmen „Pro-Choice“
Protest in Unterwäsche im Iran
Die laute Haut