taz-Fragebogen: „Bremen: banal, vordergründig“
■ Bremer Identität – was ist das? Fragen an Michael Müller, Kulturwissenschaftler, Uni Bremen
„Nur jemand, der eine Identität besitzt, kann verstehen, warum jemand den Wunsch haben könnte, sie loszuwerden.“ - Ich habe diesen Wunsch wohl deshalb nicht, weil es in Bremen – wie auch sonst in anderen Städten – nichts gibt, mit dem ich identisch sein möchte. Dazu müßte ich erst einmal wissen, wer ich selber bin, und wer weiß das schon. Differenz und Distanz sind mir da schon lieber. Soweit sich darin Identität finden läßt, ist mir Bremen als Gegenüber zu gleichgültig. Allerdings neige ich dazu, mich vorübergehend doch zu identifizieren, wenn daraus so etwas wie Solidarität erwächst.
Bremen ist wohnlich und ausländerfreundlich. Im Kleinen ist die Stadt gemütlich und offen, im Großen leider nur allzu banal und vordergründig, auch unprofessionell. Die Stadt ist nicht intellektuell. Im alltäglichen Umgang mit ihr bereitet sie wenig Mühe.
Keine.
Tatsächlich habe ich oft die Erfahrung gemacht, daß sich das Image Bremens außerhalb der Landesgrenzen auf die Stadtmusikanten, Werder Bremen und die Universität beschränkt.
Lokale Identität – als Solidarität – wächst bezeichnenderweise dann, wenn es schlecht geht. Sie ist also davon nicht abhängig zu machen.
Ich sehe in solchen Unternehmungen, wie der gegenwärtigen Ausstellung im Überseemuseum, aber auch sonst in Bremen kein neues „Heimatgefühl“ entstehen. So kann ich es auch nicht erklären.
Sicherlich erscheint die Selbstbehauptung Bremens als Stadtstaat heute anachronistisch, und das nicht nur aus politischen, sondern vor allem aus ökonomischen Gründen. Ich sehe aber auch nicht, daß Bremen als Stadt in einem Bundesland zwangsläufig an Selbstbehauptung verlieren müßte. Man sollte einmal mehr über den möglichen Zugewinn nachdenken.
Ich hoffe, daß vor einer Volksabstimmung erst einmal alle Fakten nüchtern auf den Tisch gelegt und diskutiert werden. Danach wüßte ich, mich zu entscheiden.
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