Breivik-Prozess in Oslo: Dieses verdammte Lächeln

Obwohl sie auf den Prozess vorbereitet wurden, ringen die Angehörigen der Opfer um Fassung. Vor allem, wenn Breivik den Arm zum nationalistischen Gruß streckt.

Gelächter des Grauens: Anders Behring Breivik. Bild: reuters

OSLO taz | Für die Anwesenden ist es ein Schlag in die Magengrube, als der Angeklagte den rechten Arm streckt und mit geballter Faust das Gericht grüßt. Danach lächelt er – und lässt alle im Tinghus, dem Osloer Gerichtsgebäude, verwirrt zurück.

Es sind unbegreifliche Szenen für alle, die den Prozessauftakt gegen Anders Behring Breivik im Osloer Amtsgericht verfolgen. Der 33-jährige Norweger steht wegen der Anschläge in Oslo und auf der Insel Utoya vor Gericht – dabei waren im vergangenen Jahr 77 Menschen getötet worden. Das ist noch nicht einmal ein Jahr her.

Die Art und Weise, wie der Attentäter auftritt, ruft heftige Reaktionen hervor. Die Angehörigen der Opfer weinen, andere Zuschauer schlucken und auch die Gesichter der routiniertesten Gerichtsreporter sind geprägt von Abscheu, Schmerz und einer Spur Ekel.

Anders Behring Breivik hat sich gleich nach seiner Festnahme zu den Anschlägen vom 22. Juli 2011 bekannt. Die Anklage lautet auf Terrorismus und vorsätzlichen Mord. Fünfeinhalb Prozesstage sind für die Vernehmung angesetzt.

Am dritten Prozesstag ging es um Breiviks Zugehörigkeit zu einer angeblich antimuslimischen Organisation namens „Tempelritter“. Breivik verweigerte hierzu die Auskunft. Die Frage, ob es die „Tempelritter“ wirklich gibt, ist zentral für den Fall. Sie entscheidet mit darüber, ob Breivik für psychisch krank erklärt wird und im Fall eines Schuldspruchs in eine geschlossene psychiatrische Anstalt oder in ein Gefängnis eingewiesen wird.

Ein erstes psychiatrisches Gutachten hatte Breivik eine Psychose attestiert, in einem zweiten wurde er für geistig gesund und schuldfähig erklärt. Folgt das Gericht dem zweiten Gutachten, droht Breivik die Höchststrafe von 21 Jahren Haft in einem Gefängnis oder auch in einer anderen Einrichtung. Dem Osloer Bezirksgericht gehören neben zwei Berufsrichtern auch drei Laienrichter an.

Ausnahmsweise bewaffnet

An vielen Orten im Zentrum Oslos hängen frische Rosen, Symbol der Solidarität mit den Opfern der Anschläge im Juli 2011. Auch am Eingang des Tinghus sind einzelne Rosen an den Absperrungen befestigt. In dem Moment, in dem Presse und Zuschauer die Sicherheitsschleuse passieren, offenbart sich der Ernst der Situation: Wachen stehen vor den großen Türen des Gerichtssaals, ausgerüstet mit Maschinenpistolen. Ein seltener Anblick in einem Land, in dem die Polizei traditionell unbewaffnet ist.

In den Stunden vor Prozessbeginn strömen viele Hinterbliebene und Freunde der Getöteten die Treppen hinauf. Ihre Gesichter sind bedrückt. Einige wenige finden Platz auf den Zuschauerbänken im Gerichtssaal selbst. Die meisten jedoch sitzen in einem anderen großen Saal mit Videoübertragung. Dort können die Opfer-Anwälte trösten und helfen - wenn zynische Rechtfertigungen, krude Argumente und Hasstiraden aus dem Mund des Täters kommen.

Diesen Trost brauchen sie bereits wenige Minuten, nachdem Breivik den Saal betreten hat. Er hat es sich zur Gewohnheit gemacht, in den wenigen Minuten, in denen die Kameras zugelassen sind, im Gerichtssaal seinen selbstgebastelten, nationalistischen Gruß zu zeigen. Jedes Mal geht ein Zusammenzucken durch die Reihen, viele wenden den Blick zu Boden, es herrscht Hilflosigkeit. Mit der Zeit wissen die Zuschauer, dass diese kurze hasserfüllte Geste kommen wird. Mit durchgedrückten Schultern versuchen sie sich zu wappnen.

„Aus Güte, nicht aus Boshaftigkeit“

Verletzender als diese Geste sind jedoch die Worte der ersten zwei Gerichtstage: Seit dem ersten Haftprüfungstermin nach dem Massaker und dem Bombenanschlag hat Breivik darum gebeten, eine Rede halten zu dürfen. 1.500 Seiten umfasste sein Manifest. Bisher hatte Richterin Wencke Elisabeth Arntzen dieses Ansinnen abgelehnt, bis zum Dienstag dieser Woche, dem Tag, an dem Breivik erstmals aussagt. Doch die Summe seiner einzelnen Ausfälle zuvor hat dazu geführt, den Gerichtssaal in die ersehnte Rednertribüne zu verwandeln.

Am Dienstag, dem zweiten Prozesstag, verliest Breivik ein Manuskript, in dem er den Massenmord an den Teilnehmern des sozialdemokratischen Jugendlagers auf Utoya - die er in seiner Rede mit der „Hitlerjugend“ gleichsetzt - als notwendiges Mittel bezeichnet, um „das Gute“ zu erreichen: in seinen Augen einen Bürgerkrieg im multikulturellen Norwegen verhindern und die Gefahr der Islamisierung abwenden. Er habe „aus Güte, nicht aus Boshaftigkeit“ gehandelt, trägt Breivik ungerührt vor, und - er würde „es wieder tun“. Gegen den Vorwurf einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung verwahrt er sich.

Die Führung der AUF – der sozialdemokratischen Jugendorganisation Norwegens – sitzt während Breiviks Einlassung mit versteinerten Gesichtern auf der Zuhörerbank. Sie haben sich vorbereitet, vorher geübt, um dies aushalten zu können. Einige zucken, als aus Breiviks Mund die verqueren Argumente kommen. Der Angeklagte sitzt mit dem Rücken zu ihnen - im Zeugenstand. Deshalb recken sie die Hälse und drehen sich in Richtung Videowand. Sie zeigt das Gesicht des Mörders. Ihre eigenen Gesichter - geprägt vom Schmerz - zeigen Abscheu.

In der Sitzungspausen nach Breiviks Auslassungen eilen viele Jugendliche die Treppe hinab, durch die Sicherheitsschleuse hinaus auf die Straße. Sie suchen Raum, brauchen Luft, um die schmerzhaften Eindrücke loszuwerden, zu reflektieren.

Keine Interviews, bitte!

Im großen Gemeinschaftsbereich unterhalb des Gerichtssaals drängen und drängeln sich währenddessen norwegische und ausländische Presseteams, auf der Jagd nach Bildern - eine Belastung für die Jugendlichen, die ihre Freunde verloren haben. Die meisten von ihnen bleiben auf Abstand und meiden die Presse. Viele Jugendliche haben einen kleinen Aufkleber auf die Brust geklebt, mit einem Hinweis auf Englisch: „No interwievs please“ - bitte keine Interviews. Ihrer Bitte wird im Großen und Ganzen Folge geleistet. Stattdessen interviewt die Presse ihre eigenen Kommentatoren und mitgebrachte Experten.

Der Ernst der Situation ist auch bei den Journalisten zu spüren. Der erste Prozesstag am Montag wird live im Fernsehen und im Internet übertragen. Dann kommt das Filmverbot. Für die nächsten Porzesstage wird die Presse unvermeidbar zu einer Art Filter. Sie wird darüber berichten, was Breivik sagt.

„Wwir können doch nicht alles erzählen, das ist einfach zu heftig“, sagt ein Kollege seufzend. In den Pausen stehen die Journalisten im Gespräch zusammen, gemeinsam versuchen sie, die Kodes zu knacken. Sie sind der Kanal, über den Breivik seine große Verteidigungsrede und Abrechnung mit der multikulturellen Gesellschaft Norwegens vermittelt.

Es liegt in der Natur der Sache, dass erfahrene Gerichtsreporter einen neutralen und professionellen Blick auf die Sache herstellen können. Aber jetzt sitzen sie da, zeitweilig steht ihnen der Ekel während Breiviks Rede förmlich ins Gesicht geschrieben. Oder sie reagieren mit Ungläubigkeit, wenn er plötzlich seinen Charakter zu verändern scheint - und versucht, wie ein normaler Norweger zu wirken.

Die Rechtsvertreter - allen voran Richterin Wenche Elisabeth Arntzen – begegnen Breivik im Gerichtssaal mit abwartender Kühle. Und zurückhaltender Professionalität. Breivik trägt an den ersten Tagen im Gerichtssaal einen dunklen Anzug, dazu eine beige Krawatte, das Haar ist gegelt - er präsentiert sich wie ein ordentlicher Bürger.

Anwälte, Richter, Journalisten, Gerichtspsychiater, Zuschauer, sie alle sind Zeuge absurder Extreme und Wandlung geworden: Breiviks hasserfüllte programmatische Rede am Dienstagvormittag - und seine weichgespülte Version bei der anschließenden Befragung. Alle Zuhörer im Saal haben Probleme mit dem Lächeln. Dieses Lächeln, das manchmal das Infame verkörpert und andere Male Breivik dazu dient, seine Person zu entdämonisieren.

Kleinbürgliches Outfit

Im Zeugenstand sitzt er zeitweise wie ein normaler junger Bürger aus dem Westteil der Stadt Oslo. Dort wo man gebildet spricht und gelernt hat, was sich gehört und was nicht. Er wirkt durchdacht und reflektiert. Die Anklageseite hat versucht, Konflikte zu vermeiden – und ihn zwischen seinen Auslassungen befragt. Dennoch verbleibt die Stimmung angespannt.

Die Zuschauer runzeln die Stirn oder ziehen die Augenbrauen hoch, wenn Breivik sich im Zeugenstand aufführt wie ein Interviewpartner in einer Talkshow. „Er wirkt beinahe so, als hätte er ein Medientraining durchlaufen, mit seiner Wohlformuliertheit und seinem kleinbürgerlichen Auftreten“, kommentiert ein Gerichtsreporter anschließend trocken.

Breivik betritt den Saal jeden Tag mit Handschellen - und ist die ganze Zeit umgeben von fünf Polizisten in seiner unmittelbaren Nähe. Diese Fünf symbolisieren die Zeit nach dem Prozess: Anders Behring Breivik wird für alle Ewigkeit weggeschlossen werden, der Überwachung durch die Polizei unterliegen. Dies ist der Trost für die Opfer und Hinterbliebenen.

Wenn sie das Tinghus verlassen, begegnen ihnen in diesen Tagen an vielen Orten in der Stadt Rosen. Sie sagen selbst, dass es ihnen gut tut. Und dass es ein kleiner Trost ist, nach der Wiederbegegnung mit dem „schwarzen Freitag“, dem Schreckenstag des 22. Juli. im Tinghus.

Aus dem Norwegischen von Julia Stöber. Per Anders Hoel ist Parlamentskorrespondent der Zeitung Vårt Land in Oslo

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