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Brand(t)-Stiftung von links hat noch gefehlt

■ betr.: „Witwenvermittlung“ (Ein Vorschlag wider die gravierende Politikverdrossenheit von Willi Winkler), taz vom 21.1.94

[...] Zunächst einmal muß festgestellt werden, daß der Autor offenbar, was indische Sitten und Gebräuche angeht, nur über aus der Gerüchteküche stammende Sachkenntnisse verfügt, mithin also über äußerst ungenaue.

„Die Inder“ hätten, so schreibt Herr Winkler, eine „jahrtausendealte Übung darin, ihren lieben Verstorbenen die Witwe als Grabbeilage nachzureichen“. Dazu muß gesagt werden, daß „die Inder“ keinesfalls pauschal Witwenverbrennung praktiziert haben, sondern lediglich die im hinduistischen System als „rein“ angesehenen Kasten, und hier wiederum hauptsächlich die dem traditionellen Kriegerstand zugehörigen Gruppierungen.

Daß die Rajputs – so die Sammelbezeichnung für diese Kriegerkasten – diese Praxis schon seit Jahrtausenden ausübten, ist darüber hinaus unzutreffend. Historischen Zeugnissen zufolge hat es zwar einzelne Fälle von Witwenverbrennung – bzw. wohl auch Selbsttötung – bereits im 9. Jahrhundert u.Z. gegeben, aber „modern“ wurde dies erst im 12. Jahrhundert u.Z., als lokale Fürsten zu der auch heutzutage noch gerne vertretenen Ansicht gelangten, daß ihre männliche Ehre auf den Schultern der Frauen ihres Clans ruhe. Die sogenannten „unreinen“ Kasten, also die überwiegende Mehrheit der Hindus – von den indischen Moslems und Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften ganz zu schweigen – haben nie Witwenverbrennung praktiziert. Fast überflüssig zu erwähnen, daß Hindus ihre „lieben Verstorbenen“ nicht, wie die Formulierung von Herrn Winkler suggeriert, ins Grab legen, sondern kremieren. Allenfalls Sadhus – religiöse Asketen – werden begraben, aber die sind nicht verheiratet und hinterlassen somit auch keine Witwen.

Damit nicht genug. Der von Herrn Winkler vermutlich als originell-witzig gemeinte Vorschlag, Frau Seebacher-Brandt nach Art und Weise chauvinistischer Rajputenherrscher lebendig auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen, um ihr Geldgier und Sensationsheischerei für immer auszutreiben, erinnert fatal an solche „Erlösungsmethoden“, die die mittelalterliche Inquisition Europas für den Umgang mit sogenannten Hexen als angemessen erachtete. Mit anderen Worten: Besonders neu ist der Vorschlag von Herrn Winkler nicht, mißliebige Personen, meist Frauen, sind von – meist männlichen und zudem selbsternannten – Moralhütern schon immer gerne auf diese Art und Weise unschädlich gemacht worden. In Deutschland – dies nur noch einmal zur Erinnerung – ist dies übrigens zuletzt in Mölln und Solingen geschehen. [...]

Ich möchte noch hinzufügen, daß ich damit keineswegs das Verhalten von Frau Seebacher-Brandt verteidigen möchte. Die Art und Weise, wie sie versucht, Kapital aus dem politischen Erbe Willy Brandts zu schlagen, finde ich genauso zum Kotzen wie den Kommentar von Herrn Winkler. Peter Karrer, Sarstedt

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