Brandenburger Werte und der Garagenjazz: Neues von Keimzeit und dem Peter-Fox-Gitarristen Dirk Berger

Der Brandenburger ist schon sehr speziell. Auch jenseits der Häme, die Rainald Grebe in seinem größten Hit über ihn ausgekippt hat, muss man feststellen: Freundlich und liebenswert ist er nicht, dieser Menschenschlag. Sondern eher muffelig, ein Nörgler und Moserer. Alles Eigenschaften, die den Alltag zwar nicht eben angenehmer gestalten, allerdings unterlegt mit ein bisschen Musik plötzlich durchaus einen gewissen Charme entwickeln können.

Wie das geht, demonstrieren Keimzeit seit nun genau dreißig Jahren. Die ursprünglich aus Belzig stammende Band um die Gebrüder Leisegang hat über diesen langen Zeitraum mehrfach versucht, Image und Sound zu verändern. Der Markenkern aber blieb schlussendlich unberührt, denn der wird auch auf dem neuen Keimzeit-Album „Kolumbus“ entscheidend bestimmt von Sänger und Texter Norbert Leisegang. Dessen Stimme, für die er ja nichts kann, klingt immer ein bisschen belegt und verschnupft und missmutig, selbst in Stücken wie „Das gute Beispiel“, die sich große Mühe geben, aufgeräumt zu klingen. Meist spielen Keimzeit einen zwar federleichten, aber halt auch extrem abgehangenen Poprock mit gediegenen Jazz-Elementen und ein paar wenigen irritierenden Rhythmen, aber halt auch ohne große Gefühlsaufwerfungen.

Und auch in seinen Texten, für die er dann ganz eindeutig was kann, wirft Leisegang oft einen eher schlechtgelaunten Blick auf die Welt. „Du verstehst mich nicht“, mosert er da in einem Song, und an anderer Stelle: „Ach, lass mich in Ruh“.

Am deutlichsten aber kommt der olle Brandenburger in „Streik“ durch: Da beschreibt Leisegang sehr schön einen Zustand der „allgemeinen Unzufriedenheit“, den allzu gut kennt, wer einen echten Brandenburger kennt.

Wie leicht es andererseits mitunter ist, regionalen Stereotypen zu entfliehen, demonstriert Dirk Berger mit „Garagenjazz NY“. Weder der Aufnahmeort des Albums, das im Titel verewigte New York, noch Bergers aktueller Wohnort Berlin, wo er als Teil des Produzententeams The Krauts für Peter Fox oder Marteria erfolgreich gearbeitet hat, sind zu hören. Auch scheint keine Rolle zu spielen, dass Berger als Gitarrist in Peter Fox‘ Band auf Tour geht und auf dem Garagenjazz-Cover eine Flying V hochhält, eine typische Metal-Gitarre, denn auf seinem Solo-Album findet sich tatsächlich der im Titel versprochene Jazz.

Unterstützt von Jochen Rückert am Schlagzeug und Matt Clohesy am Bass spielt Berger geschickt mit dem Brummen des Gitarrenverstärkers, oft tänzeln seine Improvisationen nur haarscharf an einer Rückkopplung vorbei. Die sechs Saiten übernehmen die Funktion, die sonst dem Saxofon oder der Trompete im Jazz-Trio zusteht, geben aber auch der gelegentlich gastierenden Posaune von Jérôme Bugnon Raum. Vor allem gelingt Berger das Kunststück, seinem Instrument überraschende Tonfolgen zu entlocken, ohne jemals prätentiös zu wirken. Ein wenig erinnert sein Gitarrenton tatsächlich an den ruppigen, aber dann doch recht liebevollen Charme Brandenburgs. THOMAS WINKLER

■ Keimzeit: „Kolumbus“ (Comic Helden/Edel), live, 2. 6., Open Air im Hof der Kulturbrauerei

■ Dirk Berger: „Garagenjazz NY“ (Zughafen/Rough Trade), Record- Release.Konzert, 3. 6., BKA-Theater