Brandenburg: Eine Stadt steht auf gegen einen Nazi-Laden
In Hennigsdorf protestiert ein stadtweites Bündnis gegen ein rechtes Geschäft. Vom Elektrostahlwerk bis zur Antifa sind alle dabei - außer der CDU.
Eine ganze Stadt macht mobil gegen einen Nazi-Laden. In Hennigsdorf, nordwestlich der Berliner Stadtgrenze, hat sich ein ganz breites Bündnis gegen einen rechten Szeneladen gebildet: Der Bürgermeister und die Antifa machen mit, der Seniorenbeirat und die Musikschule, der Betriebsrat des Elektrostahlwerks und der Geschichtsverein, Gewerkschaften, Schulen, Kirchengemeinden und Parteien. Auch der Brandenburger Flüchtlingsrat hat sich dem Protest angeschlossen.
"Dass in dieser Breite gegen ein rechtes Geschäft mobilisiert wird, ist einzigartig in Brandenburg", staunt Nicola Scuteri vom Mobilen Beratungsteam. "Wir haben die Leute wachgerüttelt. Ein Bündnis in dieser Form hatten wir noch nicht", freut sich auch Wera Quoß vom Hennigsdorfer Ratschlag. Die Initiative, die sonst Flüchtlinge aus dem örtlichen Asylbewerberheim berät, hatte die Kampagne in Gang gesetzt. Auf den offenen Brief des Ratschlags meldeten sich rund 30 Hennigsdorfer Gruppen. "Jetzt müssen wir den Schwung nutzen", so Quoß.
Als die Hennigsdorfer Anfang April ihre erste Kundgebung vor dem Nazi-Laden "On the Streets" im Stadtzentrum veranstalten, kommen 150 Bürger. Gewerkschaftler, Punks, der Bürgermeister, Asylbewerber, der katholische Pfarrer, Schüler und Stadtverordnete stehen neben dem mit Gittern und von Polizisten abgesperrten Geschäft. Die Musikschule lässt ihre Percussiongruppe trommeln. Ein Schandfleck sei der Laden, poltert der Kreisvorsitzende des DGB ins Mikro. Dieser "Schwachsinn und Hass", der diesem Laden entspringe, müsse ein Ende haben, erregt sich Vizebürgermeister Martin Witt. Und die Antifa fordert, gemeinsam gegen die Rechtsextremen vorzugehen. Alle applaudieren.
Seit Jahren verkauft das "On the Streets" einschlägige CDs, Kleidung und rechte Fan-Artikel. Der Inhaber ist zugleich Sänger der rechtsextremen Berliner Band "Spreegeschwader". Im vergangenen Jahr beschlagnahmte die Polizei 900 CDs in seinem Geschäft. "In der Szene gibt es kein vergleichbares Geschäft im Norden Brandenburgs", betont Nicola Scuteri.
Als "Propagandazentrale der rechten Szene" sieht der stellvertretende Bürgermeister Hennigsdorfs, Martin Witt, das "On the Streets". Dass sich dieses vornehmlich an Jugendliche wende, sei "verheerend" und konterkariere die städtische Jugendarbeit. Juristisch habe man keine Mittel gefunden, dem privaten Vermieter beizukommen. Umso wichtiger sei ein politisches Zeichen. "Ich hoffe, dass sich noch mehr Hennigsdorfer der Initiative anschließen", so Witt zur taz.
Nur eine stänkert gegen den kollektiven Einsatz: die lokale CDU. "Linksextreme" und "Vermummte" seien unter den Protestlern, wetterte der CDU-Ortsvorsitzende mit Blick auf die Antifa. Deshalb werde man bewusst dem Bündnis fernbleiben. Simone Tetzlaff vom Hennigsdorfer Ratschlag schüttelt den Kopf: "Damit hat sich die CDU selbst ins Abseits gestellt." Kollegin Quoß sieht darin "puren Wahlkampf". Sie wirbt weiter um Unterstützer in der Stadt, stattet Vereinen persönliche Besuche ab. "Zum Ordnungsamt, da muss ich auch noch mal hin."
Und das lohnt sich: Viele Hennigsdorfer zeigen sich plötzlich sensibilisiert. Auf einer Informationsveranstaltung in der lokalen Oberschule malen nicht nur Schüler, sondern auch Eltern und Gäste Strategien gegen Rechtsextremismus auf Plakate und präsentieren diese in kleinen Vorträgen. Und vor einer Woche kam ganz hoher Besuch in die Stadt: Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) übernahm im Puschkin-Gymnasium die Präsentation einer besonderen CD: "Starke Stimmen gegen Rechts". Die CD mit musikalischen Großkalibern wie Seeed, Silbermond oder den Toten Hosen soll bundesweit auf Schulhöfen verteilt werden. Es habe sich in den letzten zehn Jahren viel getan in Hennigsdorf, lobt das Mobile Beratungsteam. Das Bündnis beweise, dass hier Zivilgesellschaft funktioniere.
Die Aktionen gegen das "On the Streets" nutzt der Betreiber derweil zu Provokationen. Er werde ob des "gesteigerten Interesses" zu einem Sonderverkauf für seine Klientel laden - just an den Tagen der nächsten Kundgebungen des Bürgerbündnisses. Denn die Hennigsdorfer wollen sich fortan monatlich vor dem Geschäft versammeln, bis sich die Rechten aus der Stadt zurückziehen. Schon einmal sei es gelungen, das "On the Streets" nach Protesten von seinem ursprünglichen Standort in Hennigsdorf zu vertreiben, so Simone Tetzlaff vom Ratschlag. Diesmal soll der Laden gänzlich aus der Stadt verschwinden. "Und nirgendwo sonst mehr auftauchen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm