: Brandenburg in bester Verfassung
■ Verfassungsausschuß in Potsdam beschloß weitreichende Verfassungsänderungen/ Keine Fünfprozentklausel mehr/ Listenverbindungen zu Wahlen zugelassen
Berlin (taz) — Das Land Brandenburg ist auf dem Wege, sich die modernste Verfassung der neuen Bundesrepublik zu geben: Der Verfassungsausschuß des Potsdamer Landtages beschloß gestern mit großer Mehrheit richtungweisende Verfassungsänderungen. In Brandenburg regiert seit den Landtagswahlen am 14. Oktober vergangenen Jahres eine Koalition aus SPD, FDP und Bündnis 90, die sich entgegen allen Unkenrufen bisher als stabil erwiesen hat. Wie der Stellvertretende Vorsitzende Karl-Heinz Merkel, der für das Bündnis 90 im Ausschuß sitzt, gegenüber der taz erläuterte, soll die Sperrklausel bei Wahlen generell verboten oder auf maximal drei Prozent gesenkt werden. Außerdem sollen Bürgerbewegungen grundsätzlich bei Wahlen gleichberechtigt behandelt werden. „Das Listenmonopol für Parteien ist damit aufgehoben“, so Merkel. Nichteheliche Gemeinschaften sollen ehelichen gleichgestellt und niemand mehr für seine oder ihre „sexuelle Identität“ diskriminiert werden. Außerdem wurde ein Verfassungauftrag formuliert, die rechtliche Gleichstellung der Frau durchzusetzen.
Bis zum 10. Juni muß der Verfassungsentwurf veröffentlicht werden; nach der Sommerpause kann er dann im Landtag seinen parlamentarischen Gang nehmen. Da die Änderungen bereits im Verfassungsausschuß die notwendigen Mehrheiten auch unter der PDS-CDU-Opposition gefunden haben, ist damit zu rechnen, daß sie im Herbst auch die parlamentarischen Mehrheiten finden. Auch die Besetzung dieses Ausschusses ist einmalig in den neuen und alten Ländern: In ihm sitzen gleichberechtigt Parlamentarier und Nicht-Parlamentarier. 15 Delegierte stellen die fünf Fraktionen des Brandenburgischen Landtages, darunter die Fraktionsvorsitzenden der CDU, Peter Michael Diestel und der SPD, Wolfgang Birthler. Unter den 15 Nicht-Parlamentariern sitzen namhafte Berliner Verfassungsrechtler wie der Berliner CDU-Abgeordnete Professor Klaus Finkelnburg, der AL-Jurist Karl-Heinz Merkel und der ehemalige Verfassungsrichter Helmut Simon.
Die Beschlüsse des Ausschusses haben Bedeutung weit über Brandenburg hinaus: Sie setzen konsequent das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom vergangenen September in die Praxis um. Damals tobte seit Monaten der Streit um den Wahlmodus für die ersten gesamtdeutschen Wahlen durch die Parteien. Das erste Wahlgesetz des Bundesinnenministers flog den Bonner Parteien nach dem Urteil um die Ohren: Nur noch eine regionalisierte Sperrklausel von bis zu fünf Prozent ließen die Richter in Karlsruhe gelten, und auch die Listenverbindung von nichtkonkurrierenden Parteien fand keine Gnade.
Die Brandenburgischen Beschlüsse werden der Verfassungsdebatte neuen Stoff geben: Nicht nur Brandenburg, auch die anderen vier neuen Länder sollen sich in diesem Jahr eine Landesverfassung geben. Daneben sollen auch die Berliner Verfassung und das Grundgesetz in den nächsten Jahren reformiert werden. Ende 1992 will Innenminister Schäuble nach einer gemeinsamen Lösung mit der SPD das Grundgesetz geändert haben, eine Frist von zwei Jahren sieht der Einigungsvertrag vor. Das im Juni letzten Jahres gegründete „Kuratorium für einen demokratisch verfaßten Bund deutscher Länder“, in dem auch VertreterInnen der Bürgerbewegungen sitzen, ist in Bonn mit seinen Vorstellungen jedoch auf wenig Gegenliebe gestoßen. Kordula Doerfler
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