piwik no script img

Boykott der Schach-WM in RusslandVerwaiste Tische

Die Schachweltmeisterschaft findet in der Nähe zur südossetischen Grenze statt. Sechs georgische Großmeisterinnen und fünf weitere Spielerinnen boykottieren das Turnier jedoch.

Unpolitisches Schachspiel? Bild: dpa

Leere Schachbretter beherrschten die Szene zu Beginn der Frauen-WM in Naltschik. Zwei der 32 Tische waren völlig verwaist, an sieben weiteren wartete eine Spielerin eine Stunde lang, ehe ihr kampfloser Sieg feststand. 11 der 64 Teilnehmerinnen boykottieren die mit 450.000 Dollar dotierte Veranstaltung in Russland. Ein kleiner Erfolg Georgiens gegen den übermächtigen Nachbarn, in dessen Süden das Turnier nur 140 Kilometer entfernt von Südossetien ausgetragen wird.

Die sechs qualifizierten Spielerinnen aus Georgien hatten vor dem ersten Zug ihre Kolleginnen per E-Mail gebeten, ihr Gesuch an den Schach-Weltverband Fide zu unterstützen: Maja Tschiburdanidse, Lela Jawachischwili, Sopio Gwetadse, Nino Churtsidse, Maja Lomineischwili und Sopiko Chuchaschwili forderten eine Verlegung in ein "sicheres Gebiet". Die Region um Naltschik sei schon vor dem Krieg in Südossetien "die gefährlichste Region Russlands mit regelmäßigen Bombendetonationen" gewesen. Deshalb sagten die sechs ihre Teilnahme ab.

Der Boykott fällt den Großmeisterinnen besonders schwer. Dabei geht es nicht um die 3.000 Dollar, die es noch bei einem Erstrunden-Aus gegeben hätte, und die für die meisten die höchste Prämie des Jahres dargestellt hätte. Die Georgierinnen rechneten fest mit der WM-Krone. Nach ihrem Selbstverständnis gehört der Titel einfach nach Georgien. Fast drei Jahrzehnte lang dominierten Georgierinnen beinahe nach Belieben an den Tischen. Nona Gaprindaschwili wurde 1962 Weltmeisterin. Sogar ein Parfüm wurde in Tiflis nach der heute 67-Jährigen benannt. Erst 1978 löste sie Maja Tschiburdanidse auf dem WM-Thron ab. Die damals jüngste Weltmeisterin - sie war 17 - verteidigte den Titel gegen ihre Herausforderinnen aus dem eigenen Land bis 1991.

Fide-Präsident Kirsan Iljumschinow konnte die Georgierinnen nicht umstimmen. Vom Hinweis, "Politik und Sport nicht zu vermengen", hielten sie wenig - vielleicht auch, weil sich der Russe als kalmückischer Präsident selbst selten daran hält. Auch die Beileidsbekundungen Iljumschinows für die "Opfer der schrecklichen Tragödie" und ein Brief an Georgiens Staatschef Michail Saakaschwili verpufften. Die für das Turniergericht in Naltschik nominierte Schach-Legende Gaprindaschwili sagte ebenso ab.

Auf der WM-Website der Fide prangt das Grußwort von Russlands Präsident Dimitri Medwedjew. Über die Absage der Spielerinnen werden dagegen nicht viele Worte verloren. Karen Zapata (Peru), Marie Sebag (Frankreich), Irina Krush (USA), Jekaterina Korbut (Russland) und die georgischstämmige Tea Bosboom-Lanchava (Niederlande) erhöhten die Zahl der Absagen auf 11. Als einzige gebürtige Georgierin nahm Ketino Kachiani-Gersinska in Naltschik teil. Die deutsche Nummer zwei hatte ihre Freundinnen in der alten Heimat vor der WM umzustimmen versucht. Die Einwendungen der 36-jährigen Großmeisterin, der Krieg sei "vorbei, ansonsten würde ich auch nicht hinfliegen", fruchteten jedoch wenig.

Das Turnier ohne Trainer dauerte für Kachiani-Gersinska allerdings nicht lange. Bei der dritten WM-Teilnahme für den Deutschen Schachbund (DSB) schickte der Verband wegen der Reisewarnung des Auswärtigen Amtes keinen Betreuer mit. Unter der Obhut von Ehemann Jürgen Gersinska schied die Baden-Badenerin gegen die Shen Yang (China) nach einem Remis und einer Niederlage aus. Topfavoritin Humpy Koneru (Indien) und die Russin Alexandra Kosteniuk stehen dagegen kampflos im Achtelfinale. Sie warteten am Brett geduldig eine Stunde auf die Gewinnerinnen der Paarungen Lomineischwili und Kuchaschwili beziehungsweise Korbut und Gwetadse.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!