Boxerin Hülya Sahin zurückgeholt: Plötzlich feminin genug
Hülya Sahin wollte in erster Linie Sportlerin sein - ihrem Boxstall reichte das nicht. Nun kehrt die Verschmähte bei der WM in den Ring zurück, weil es an Konkurrenz mangelt.
Die Wut hat sich über die Monate in neuen Ehrgeiz verwandelt, sagt sie, die große Enttäuschung in Entschlossenheit. In negativen Gefühlen hat sich dieses tapfere Frauenzimmer, das rund um den Ring "Sunshine" gerufen wird, nie lange eingenistet. Darum muss auch niemand fürchten, dass die Dinge eskalieren könnten, wenn Hülya Sahin am Samstag ihr Comeback als Berufsboxerin gibt. Der sportliche Erfolg ihrer Mission ist nun das Einzige, was für die 35-Jährige zählt: "Ich will einfach zeigen, dass ich noch zu den Besten gehöre."
Das kleine Energiepaket aus Köln war unbesiegte Weltmeisterin im Halbfliegengewicht, als sie vor einem Jahr einen ungeahnten Tiefschlag empfing. Wenige Tage vor einer Titelverteidigung eröffnete man ihr bei einer Debatte um ihre Kampfbörse, dass sie nicht telegen genug und darum ab sofort entbehrlich sei. Damals hatte sie nicht zurückgeschlagen, sondern sich in den vorläufigen Ruhestand gefügt. Das Zickige, nach außen Gekehrte ist einfach nicht ihre Art, wie sie eingesteht, "und wenn einer sagt, dass ich unerwünscht bin, dann gehe ich lieber."
Jetzt aber rufen sie die gleichen Herren, die ihr trotz gültigem Vertrag die Zusammenarbeit aufkündigten, in den Ring zurück - weil es kaum noch adäquate Gegnerinnen gibt für Susi Kentikian, die in Hamburg trainierte "Killer-Queen". Und so kommt es, dass Hülya Sahin nach 18-monatiger Pause in Rostock sofort wieder um Titelehren kämpfen kann - nur dass sie diesmal die Herausforderin abgibt. Solche Kapriolen produziert eben ein Sport, der noch immer etwas ungelenk zwischen Seriosität und Entertainment balanciert.
Sie waren aufgerufen, das große Erbe der Regina Halmich in die Zukunft zu verlängern: Vier talentierte Faustkämpferinnen, die der Boxstall Universum vor Jahren aus der Amateurszene gecastet hatte. Das war ein "Rat Race", bei dem sich am Ende erstaunlicherweise alle in ihren Gewichtsklassen durchsetzen konnten. Mindestens ebenso wichtig aber war den Impresarios die feminine Seite, die mit koketten Posen unterstrichen werden sollte. So aber mochte die Sahin nicht rüberkommen. Die nette, etwas herbe Athletin wollte sich "in erster Linie als Sportlerin und nicht als Frau" verkaufen - und genau das wurde ihr bald zum Verhängnis.
Von "Hülya" zu "Julia" umgetauft, gewann die konditionsstarke Konterboxerin ihre 20 Profiduelle so pur wie einst Heike Drechsler ihre Weitsprung-Wettbewerbe. "Aber die meisten Leute wollen da nix mit Taktik sehen", ahnt sie heute. So blieb sie, während Kollegin Ina Menzer Einladungen und Sponsoren sammelte, eine Siegerin in der Niemandsbucht. Und eigentlich war ihr das schon mal passiert: Als Amateurin aus der Türkei blieb sie trotz ihrer größeren Erfolge im Schatten von Fikriye Selen, die mit ihrem Modell-Look die deutlich lukrativen Werbeverträge bekam.
Es war nur ein nettes Taschengeld, was die Teilzeit-Heldin als Profi an Wochenenden in deutschen Hallen verdiente. Unter der Woche aber war noch weniger Glanz angesagt. Da ist sie bis heute die freundliche Angestellte der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) geblieben, die im Drei-Schichten-Betrieb Fahrkarten-Automaten repariert - und nach dem Eklat mit Universum heilfroh war, "dass ich da aufgefangen war. Es war ja eine Tiefphase. Keiner hört gerne, dass er zu alt ist und man ihn nicht mehr haben will."
Nun hat sie vom Arbeitgeber erneut öfter freibekommen, um sich bestmöglichst mit ihrem neuen Trainer Mehmet Hendem auf das Duell in Rostock vorzubereiten. "Es wäre schön", betont sie, "wenn das erwähnt werden könnte." Die schweißtreibenden Einheiten im Gym eines Kölner Fitness-Instituts schlossen dennoch oft genug an die Schichtarbeit an. Da war die Luft gerade am Anfang oft "ganz schön knapp für mich". "Sie musste fast wieder bei null angefangen", sagt Trainer Hendem.
Zusammen haben sie eine aggressivere Boxerin erfunden, die am Samstag selbst den Kampf machen soll. Das ist attraktiver und verspricht gegen die hyperaktive Kentikian, Fliegengewichts-Championesse zweier Verbände, die bessere Taktik zu sein. "Mit so viel Druck kommen die meisten nicht klar", glaubt Hendem. In die finanzielle Gewinnzone käme seine Athletin im Erfolgsfall erst danach. Alle Vorkosten abgezogen, sagt Sahin, reicht es nach dem Termin in Rostock "vielleicht für einen schönen Urlaub". Ihre Karriere im Ring aber soll in jedem Fall fortgesetzt werden, allerdings auf ihre Art: "Ich werde weiter nur das machen, was zu mir passt."
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