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■ Bossi packt aus: 1986 einen Aufstand verhindert?Die 300.000 vor Bergamo

Terracina (taz) – Na, wenn das keine Sensation ist: Schon dachten die gepeinigten Zeitungsschreiber und Fernsehreporter, die Politiker Italiens wollten das Sommerloch dieses Jahr ausschließlich mit ernsten Auseinandersetzungen zudecken, von Berlusconis Politikerbefreiung bis zur Abtreibungsfrage.

Doch nun, wo der Sommer und die brütende Hitze schon fast vorbei ist, geht's doch noch los: Gestählt und relaxt von mehreren Tagen Urlaub in den diversen Ferienhäusern des Ministerpräsidenten auf Sardinien und in dessen trautem Heim in Mailand, erzählte der Chef der norditalienischen Ligen und Koalitionspartner der Regierung, Umberto Bossi, 1986/87 seien im Gebiet von Bergamo mehr als 300.000 Leute, bewaffnet und wild entschlossen, zum Aufstand gegen die römische Zentralregierung bereitgestanden. Was er, Bossi, dann verhindert habe, indem er eine „politische Lösung“ ankündigte. Diese habe er dann, ecco, in Form der kurz danach gegründeten „Ligen“ in Szene gesetzt und mit mächtigen Wahlerfolgen vorangetrieben. Durch den Einzug in die Regierung konnte er sie schließlich realisieren.

Da rieben sich die Bergamasken freilich die Augen: Wo fragen sie, waren diese Recken seinerzeit nur alle versteckt? Angsichts der Tatsache, daß die Stadt selbst nur knappe 150.000 Einwohner, die gesamte Provinz gerade mal 800.000 Bürger aufweist, müßten seinerzeit auch schon Kinder und Greise mit der Hand am Gewehrabzug herumgelaufen sein. Die Zeitungschroniken indessen berichteten seinerzeit nur von einem normalen Sommertourismus und einer ruhigen wirtschaftlichen Tätigkeit – es muß also schon perfekte Tarnung gewesen sein, die die Leute aus Oberitalien da anlegten: „Empfehlenswert für künftige Kriege“, urteilt Il manifesto. La Repubblica vermutet dagegen „ein Geschwisterchen des Ungeheurs von Loch Ness: es tritt ebenfalls im Sommer auf, keiner hat's je gesehen und doch schreiben alle darüber.“

Angestrengt sinnen jedenfalls inzwischen auch engste frühe Mitstreiter Bossis darüber nach, wie ihnen ein derart grimmiges Heer damals denn nur so ganz entgangen sein könnte. Der einstige Chefideologe der Liga, Gianfranco Miglio, vermutet einen Sonnenstich bei Bossi. Innenminister Maroni, der seinem Parteichef sogleich durch Geheimdiensterkenntnisse behilflich sein wollte, mußte passen – keiner hatte was bemerkt. Der bergamaskische Abgeordnete und Vorsitzende des Sozialausschusses, Roberto Calderone, Chef der Lega lombarda, murmelt etwas von „einem der zahlreichen Scherze Bossis“. Der aber denkt gar nicht daran, etwas zurückzunehmen: neinneinnein, es seien wirklich 300.000 gewesen, die meisten aus den Bergtälern und der Peripherie, „lauter Hitzköpfe, versteht ihr, wie diese Bergamasken nun mal sind“. Da muß schon allerlei Anstrengung vonnöten gewesen sein, diese Bauernschädel in ihre Tennen zurückzutreiben, oder?

Inzwischen haben Bossis Gefolgsleute die Suche nach Spuren des Aufstandswillens aufgegeben und rätseln statt dessen lieber, worauf ihr Chef wohl hinaus will. Auf einen Verdienstorden etwa? Eine Anerkennung als „Vater des Vaterlandes“, wie die Römer einst ihre Großen nannten?

Oder fällt ihm nur auf die Nerven, daß er – seit ihn Berlusconi in seinen Swimmingpools vom wilden Wadenbeißer zum friedlichen Pudelchen umgeklont hat – keine Schlagzeilen mehr macht, statt dessen die neofaschistischen Kollegen durch allerlei Initiativen zu Titelseitenstars werden?

Fragen über Fragen, das Sommerloch hat doch noch seine Sensation. Werner Raith

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