piwik no script img

Bossa Nova vom Río de la PlataSchwermut und Leichtigkeit

Der argentinische Gitarrist Agustín Pereyra Lucena war ein Liebhaber brasilianischer Musik. Nun wurde sein Debütalbum von 1970 neu veröffentlicht.

Innige Beziehung: Agustín Pereyra Lucena und sein Instrument Foto: Far Out

Der folgende Text ist in der taz-Verlagsbeilage „Global Pop“ erschienen.

Fröhlich und beschwingt sei die Musik Brasiliens, ist man geneigt zu denken. Was natürlich genauso klischeehaft ist, als ob alle Deutschen auf Marschmusik und Schuhplattler stünden. Dabei spielt die „Saudade“ – eine Art melancholische Sehnsucht – nicht nur im portugiesischen Fado eine wichtige Rolle, sondern auch in der brasilianischen Populärmusik.

João Gilberto wollte sie in seinem Bossa Nova-Klassiker „Chega de Saudade“ („Keine Sehnsucht mehr“) zwar überwinden – und hoffte darauf, dass seine große Liebe zu ihm zurückkäme. Doch ob sich das erfüllt, bleibt ungewiss. Die Saudade trägt zumeist eine Erinnerung in sich und hält zugleich die Hoffnung wach, dass sich die Sehnsucht erfüllen möge.

Auch der argentinische, überwiegend in Moll gespielte Tango trägt eine Melancholie in sich, in der sich Sehnsucht und Leidenschaft miteinander verbinden. Vielleicht ist es diese kulturelle Prägung, wegen derer sich der argentinische Gitarrist Agustín Pereyra Lucena so sehr in die Musik Brasiliens verliebte. Als seine musikalischen Vorbilder gelten die Bossa Nova-Mitbegründer Antônio Carlos Jobim, Baden Powell und Vinícius De Moraes.

Die Platte

Agustín Pereyra Lucena: Agustín Pereyra Lucena (Far Out Recordings 2024)

Das in London ansässige Label Far Out Recordings hat nun Pereyra Lucenas selbstbetiteltes Debütalbum aus dem Jahr 1970 wiederveröffentlicht – wobei die Aufnahmen direkt von den Original-Kassetten gezogen wurden.

Die Neuauflage zeigt jedenfalls, zu welch umwerfenden Resultaten kulturelle Beeinflussung führen kann. In den Intros von „O Astronauta“ und „Consolação“ (beide von Baden Powell und Vinícius De Moraes) klingt das Album so traurig, dass man sich kaum zu helfen weiß, als unmittelbar in Tränen auszubrechen. Dann hat es wie in „Tema Para Martin“ oder der Adaption des Tom Jobim-Songs „Tristeza de Nós Dois“ wieder eine gewisse Leichtigkeit, als ob man in der Luft schweben würde.

Eigenwillige Gitarrenkünste

Zum Teil ist Agustín Pereyra Lucena Gitarrenspiel unterlegt mit gehauchten lautmalerischen Klängen seiner Freundin Helena Uriburu, einer Französisch-Lehrerin, die für die Aufnahmen tatsächlich zum ersten Mal in ihrem Leben in einem Tonstudio war.

Begleitet wird Pereyra Lucena auf dem Album von zwei weiteren argentinischen Brasilienliebhabern: Mario „Mojarra“ Fernandez am Bass und Enrique „Zurdo“ Roizner am Schlagwerk. Beide lassen Agustin genug Raum, um seine so sanften wie eigenwilligen Gitarrenkünste auszubreiten. Zwischendurch wird es dann auch etwas swingender, bevor Agustín mit der Eigenkomposition „Niña No Divagues“ Schwermut und Leichtigkeit miteinander vereint.

2019 verstarb Agustín Pereyra Lucena. Erst danach begann man damit, ihn als einen der großen Musiker Argentiniens anzuerkennen. 2020 wurde ein in Buenos Aires aufgenommenes Album neu aufgelegt, bei dem Pereyra Lucena mit dem legendären brasilianischen Perkussionisten Naná Vasconcelos zu einer improvierten Session zusammengekommen war, ein Jahr später brachte Far Out Recordings sein Album „La Rana“ neu heraus, das 1980 in Oslo als Quartett eingespielt worden war.

Sein gerade wieder veröffentlichte Debütalbum bringt uns zurück zum Karrierebeginn des damals 22-jährigen. Schon 1970 war zu erahnen, was der brasilianische Dichter und Sänger Vinícius De Moraes später über ihn gesagt hat: Mit Ausnahme der beiden brasilianischen Gitarristen Baden Powell und Toquinho habe er „noch nie jemanden gesehen, der mehr mit seinem Instrument verbunden war als Agustín Pereyra Lucena“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!