: Bosnier unter Druck
■ Familien müssen Heim wechseln
Versteinerte Mienen bei den Männern, Tränenausbrüche bei den Frauen. Nur die Kinder kurven auf ihren Dreirädern sorglos johlend durch den langen Flur. Die Hiobsbotschaft ereilte die zwölf bosnischen Großfamilien am vergangenen Freitag: Bis zum Ende dieser Woche sollen sie ihr provisorisches Heim in der Kreuzberger Adalbertstraße geräumt haben. Der Bezirk, dem das Haus gehört, will dort wieder eine Jugendeinrichtung aufmachen. Als Alternative wurde den 50 Bosniern und ihren 25 Kindern ein frisch renoviertes Gebäude in der Luckenwalder Straße angeboten. Aber dort wollen sie nicht hin.
Träger der Flüchtlingsunterkunft ist das Deutsche Rote Kreuz (DRK). Es hatte vor zwei Jahren einen Vertrag mit den Kreuzberger Sozialamt geschlossen, der jedoch bis zum 15. Dezember 1995 befristet worden war. Vor zwei Monaten baten die Sozialamtsmitarbeiter, den Vertrag vorzeitig zu lösen. „Ein paar Wochen später hätten wir sowieso raus gemußt“, begründet die Pressesprecherin des DRK Susanne Arab die Zustimmung. „Unsere Bedingung war aber, daß den Familien kein großer territorialer Wechsel zugemutet wird.“ Nach einer Besichtigung ihres neuen Domizils stand für sie fest: „Da gehen wir nicht rein.“
Das Treppensteigen in die hoch gelegenen Wohnungen sei wegen der vielen Kleinkinder unzumutbar. Außerdem befinde sich der Backofen ganz ungünstig im Keller. Und Duschen und Toiletten gebe es für die vielen Menschen viel zu wenige, und die Zimmer seien zu klein. Das Sozialamt interessieren diese Argumente nicht: Ende der Woche müsse die Unterkunft geräumt sein, andernfalls werde das Bezirksamt keine Kosten mehr für die Flüchtlinge übernehmen. Etwas mehr Fingerspitzengefühl bewies die Kreuzberger Sozialstadträtin Ingeborg Junge- Reyer (SPD). Daß der Vertrag Ende des Jahres auslaufe und der Bezirk Eigenbedarf habe, ließe sich nicht ändern. Aber die Pistole solle den Familien nicht auf die Brust gesetzt werden. „Sie können sich mit dem Auszug ruhig Zeit lassen, auf ein paar Wochen mehr oder weniger kommt es uns nicht an.“ Wenn sie die Luckenwalder Straße allerdings nicht akzeptierten, riskierten sie in Ermangelung von Alternativen, daß ihre Familien auseinandergerissen und über die Bezirke verteilt würden. Plutonia Plarre
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