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■ Bosnien ist nicht mit weiteren „Waffengängen“ zu helfenFriede um jeden Preis

Sollte es den Truppen der neu formierten muslimisch-kroatischen Föderation in den nächsten Wochen und Monaten gelingen, ihre serbischen Kontrahenten bei Brčko zu schlagen, so bedeutet das zumindest eines: Die militärischen Siege der bosnischen Serben seit Beginn des Krieges um Bosnien- Herzegowina im April 1992 wären mit einem Schlag zunichte gemacht. Zudem wären die Auswirkungen eines solchen – ersten – militärischen Sieges der nun wieder alliierten Streitkräfte auch in psychologischer Hinsicht nicht zu unterschätzen.

Denn der Korridor, den die Truppen Radovan Karadžićs in den letzten zwei Jahren quer durch Bosnien getrieben haben, um die serbisch besetzten Gebieten Kroatiens und die restjugoslawische Republik Serbien zu verbinden, ist nicht eines, sondern das Kernstück des großserbischen Traumes. Fällt Brčko, so würde sich „Großserbien“ endlich als das erweisen, was es schon immer war: ein von machtgierigen Politikern instrumentalisiertes, völlig praxisuntaugliches Hirngespinst paranoider Intellektueller.

Daß „der erfolgreiche Waffengang ... Voraussetzung für eine tragfähige Friedenslösung“ sei, wie Erich Rathfelder vor drei Tagen an dieser Stelle in seinem Debattenbeitrag „Krieg statt Frieden“ schrieb, muß allerdings bezweifelt werden. Tatsächlich ist „Großserbien“ eine Totgeburt. Heute wäre ein Staat aller orthodoxen Balkanslawen Belgrader Provenienz – alles in allem keine zehn Millionen Menschen – bestenfalls ein absolut unzeitgemäßer Produzent von Agrarischem. Zudem wäre „Großserbien“ aufgrund seiner extrem langen Grenzen ständig militärisch bedroht. Und selbst wenn dem nicht so wäre – würde nicht jeder Machthaber angesichts der zu erwartenden Dauerkrise seine Herrschaft durch eine aggressive Außenpolitik zu sichern suchen?

Die praktische Nichtumsetzbarkeit des großserbischen Planes wirft die Frage auf, ob denn der Wunsch danach tatsächlich die Triebfeder der Belgrader Aggression ist. Angesichts der unzähligen alten Hasen der internationalen Diplomatie, die in den letzten drei Jahren am strategischen Genie Slobodan Miloševićs gescheitert sind, scheint dies eher unwahrscheinlich. Die Obsession des serbischen Präsidenten heißt Macht, nicht Nation. Über Krieg und Frieden im ehemaligen Jugoslawien wird eben nicht auf dem Schlachtfeld entschieden, sondern in Belgrad und – mit Abstrichen – in Zagreb. Dort aber herrschen nach wie vor diejenigen, die den Krieg begonnen haben und ihn bis heute führen – politische Kasten, die sich in den letzten Jahren mit mafiosen Elementen verbunden haben.

In Serbien ist der Unterschied zwischen Gangsterboß und Parteipolitiker mittlerweile bis zur Unkenntlichkeit verwischt. Bei den letzten Wahlen verfehlte der Kriegsverbrecher Željko Raznjatović alias „Arkan“ nur knapp den Sprung ins Parlament. Aber auch in Zagreb wurde bisher kaum ein Anhänger Mate Bobans entlassen – was nahelegt, daß der gestürzte Präsident der „Kroatischen Republik Herceg-Bosna“ weniger Galionsfigur denn Aushängeschild der „Herzegowina-Mafia“ war.

Die Mächtigen in Ex-Jugoslawien haben kein Interesse am Frieden. Schließlich würde ein Ende der bewaffneten Auseinandersetzungen genau den Zustand wiederherstellen, der sie in den letzten drei Jahren immer wieder bewogen hat, zu den Waffen zu greifen. Ruhe, ja rechtsstaatliche Verhältnisse bedrohen Despoten vom Schlage Miloševićs unmittelbar. Und auch der kroatische Präsident Franjo Tudjman müßte sich bei einem Ende der Kämpfe von seiner Bevölkerung die Frage stellen lassen, was die Hunderttausenden Toten, die Millionen von Vertriebenen und die beinahe völlige Zerstörung der exjugoslawischen und (damit der kroatischen) Wirtschaft konkret gebracht haben sollen.

Die Mafia würde durch einen wie auch immer gearteten Frieden ihrer lukrativsten Einkommensquellen – Waffen, Drogen, Schutzgelder – beraubt. Der bosnische Serbenführer Radovan Karadžić und ein großer Teil seiner „Mannschaft“ müßten zudem mit Prozessen vor internationalen Gerichten rechnen. Wer will daher dem Psychiater Karadžić mit letztem festen Wohnsitz in Sarajevo verübeln, daß er sich mit dieser Perspektive nicht anfreunden kann?

All dies kommt nicht nur bei Erich Rathfelder, sondern in der internationalen Diskussion über den Krieg im ehemaligen Jugoslawien nicht oder nur am Rande vor. Während die multikulturelle „bosnische Idee“ täglich real mit bosnischen Opfern ihre Tode stirbt, bilden nach wie vor „Bellizisten“ und „Pazifisten“ die Hauptströmungen der Beiträge zum Thema. Daß die „Bellizisten“ schon seit geraumer Zeit nicht nur medial Oberwasser haben, liegt vor allem daran, daß die Reste der Friedensbewegung der achtziger Jahre über betroffenheitsmotiviertes Beten oder bestenfalls Demonstrieren nicht hinausgekommen sind. Zwei großangekündigte Friedensmärsche und deren grandioses Scheitern im letzten Jahr sprechen für sich.

Die „Bellizisten“ bleiben somit zwar Sieger auf dem analytischen Feld, die von ihnen einstmals geforderte internationale Militärintervention ist aber dennoch in weite Ferne gerückt. Daß Politiker wie der Grüne Daniel Cohn-Bendit oder Journalisten wie Erich Rathfelder dazu neigen, der immanent militärischen Logik zu folgen und sich auf die Seite der bewaffneten Kräfte der Bosnier und Kroaten stellen, ist nur verständlich. Aber gerade deshalb müssen sie sich die Frage gefallen lassen, was die angestrebte Rückeroberung Bosnien-Herzegowinas für die im Lande verbliebenen Menschen bedeutet. Auf den Schlachtfeldern Bosnien-Herzegowinas jedenfalls geht es nicht um eine endgültige Entscheidung. Vieles scheint sich darum zu drehen, ob die unter US-Regie zustande gekommene muslimisch-kroatische Föderation 58 oder nur 51 Prozent des bisherigen bosnischen Territoriums erhält – eine geradezu akademisch anmutende Frage angesichts der rund 80 Prozent Bevölkerung in Ex-Jugoslawien, die am Krieg ausschließlich als Opfer „beteiligt“ sind.

Dafür, daß die BosnierInnen, KroatInnen und SerbInnen kriegsmüde sind, sprechen unter anderem die unzähligen Männer in wehrfähigem Alter in den Flüchtlingskolonien von Berlin, München oder Prag. Millionen von Flüchtlingen belegen, daß letztendlich eine Minderheit der Ex-JugoslawInnen den Krieg führt, die große Mehrheit aber mit Vehemenz versucht, der Katastrophe zu entkommen. Die meisten von ihnen haben vieles, viele haben alles verloren.

Um der zum Frieden bereiten Mehrheit der ehemaligen JugoslawInnen die Möglichkeit zu eröffnen, ein politisch wirksamer Faktor zu werden, muß aber zuallererst irgendeine Form von Normalität wiederhergestellt werden. Denn diese ist die Voraussetzung zum Sturz der politischen Kasten, die Serbien und Kroatien heute beherrschen. Bosnien braucht Frieden – um jeden Preis. Denn dieser Frieden würde nicht nur den großserbischen, sondern alle nationalistischen Träume auf dem Balkan platzen lassen. Rüdiger Rossig

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