■ Bosnien-Herzegowina: Gefährdet Deutschland den Friedensprozeß?: Wenig hilfreiche Kritik
Im Vorfeld der Geberkonferenz des Dayton- Abkommens in Bonn will der bosnische Ministerpräsident Haris Silajdžić am heutigen Montag in Berlin in einem Gespräch mit dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen auf die „gefährliche Lage“ zwei Jahre nach Abschluß des Abkommens hinweisen. Silajdžić befürchtet, daß Landesregierungen und Behörden in Deutschland bei allen Bekenntnissen zum Erhalt des Gesamtstaates Bosnien-Herzegowina mit ihrer Politik häufig die desintegrativen Kräfte stärken. Nicht nur durch die gerade auch vom Berliner Senat betriebene rigide Rückführung der Flüchtlinge, sondern auch durch Äußerungen Bonner Politiker.
Bei seinem Sarajevo-Besuch am letzten Donnerstag hatte Bundesaußenminister Klaus Kinkel gemeinsam mit seinem französischen Amtskollegen Vedrine dem aus einem Muslim, einem Kroaten und einem Serben zusammengesetzten Staatspräsidium mit Konsequenzen gedroht, falls bis zur morgigen Geberkonferenz keine Einigung über eine gemeinsame Währung, Pässe und Staatsbürgerschaft sowie über die Zusammensetzung des Ministerrates erzielt ist. Über diese und andere für einen gemeinsamen Staat Bosnien-Herzegowina wesentliche Fragen wird seit Abschluß des Dayton-Abkommens ergebnislos verhandelt.
Eine Einigung wird im wesentlichen von der serbischen, in zweiter Linie der kroatischen und nur zum geringsten Teil von der muslimischen Seite blockiert. Dies ist dem Bonner Außenministerium wohlbekannt. Immerhin stellt(e) das Auswärtige Amt seit Abschluß des Dayton-Abkommens mit den Diplomaten Steiner, Wagner und jetzt Schumacher die stellvertretenden „Hohen Repräsentanten“ der internationalen Gemeinschaft in Sarajevo und verfügt so auch über beste informelle Informationskanäle. Pauschal an „die Bosnier“ gerichtete Kritik, Aufforderung und Drohungen sind kontraproduktiv. Denn indirekt stärkt Bonn damit nicht nur die nationalistischen Hardliner unter den Serben und Kroaten, sondern auch unter den Muslimen diejenigen Kräfte, die auf eine Desintegration Bosniens setzen und Politikern wie Silajdžić das Leben schwermachen.
Die Bonner Bosnien-Geberkonferenz böte der Bundesregierung eine Gelegenheit, differenziertere Signale auszusenden. Und zwar in einer nicht nur für den bosnischen Ministerpräsidenten Silajdžić, sondern auch für die bosnische Öffentlichkeit wahrnehmbaren Weise. Andreas Zumach
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