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Borschtsch und Parteibuch

Sowjetische Kulturoffiziere in Berlin: Ein Aspekt der Konferenz über alliierte Nachkriegskulturpolitik in Berlin, die gestern zu Ende ging  ■ Von Petra Kohse

Noch in den achtziger Jahren erinnerte sich der Theaterkritiker Friedrich Luft lebhaft an ein Büfett aus den unmittelbaren Nachkriegsmonaten. So ziemlich jeder, der im Kulturleben gerade wieder einen Rang, oder doch wenigstens noch einen Namen hatte, wühlte damals mit ihm in Kaviar und Butter – fast schon vergessene Köstlichkeiten wiedererlangter Zivilisation. Herbert Ihering soll ganz grün im Gesicht geworden und prompt zu Boden gegangen sein.

Als einer der wenigen habe sich hingegen Ernst Busch etwas länger mit dem eigentlichen Anlaß des Empfanges der Sowjetischen Militäradministration Deutschlands (SMAD) aufgehalten: dem Packen Marxscher Werke, der den Künstlern und Intellektuellen unter den Arm gegeben wurde, bevor sich die Tür zum kalten Büfett öffnete. Aber Luft schob den diskutierwilligen Busch seinerzeit beiseite: „Sie haben sicher recht, aber entschuldigen Sie, ich möchte auch einen kleinen Happen.“

Borschtsch und Futterpakete in der „Möwe“, überhaupt Sonderrationen für alle Kunstschaffenden in der ausgehungerten Zeit – an die sowjetischen Kulturoffiziere erinnern sich die Nachkriegskulturmenschen aller Couleur ausgesprochen gern. Auch die umfängliche Kenntnis deutscher Kultur und Sprache der SMAD-Funktionäre überraschte damals, ihre Freundlichkeit und Förderung. Bereits am 16. Mai 1945 erlaubte die SMAD den Berliner Theatern prinzipiell den Spielbetrieb. Nach dem Motto „Spiele statt Brot“ sollte das Theater die Berliner Bevölkerung ihre Not wohl vergessen lassen.

Dabei soll man natürlich den Propagandawert der Unterhaltung nicht unterschätzen, entsprechend der Leninschen Kulturkonzeption, nach welcher es unmöglich ist, die materielle Not zu überwinden, ohne auch „den geistigen Unrat“ der Gesellschaft zu beseitigen, ohne „Kopf und Herz des werktätigen Volkes zu mobilisieren“.

Eine berechtigte Frage ist natürlich, ob denn der „Unrat“ acht Tage nach der Kapitulation schon beseitigt sein konnte. Tatsächlich war die Entnazifizierungspraxis der SMAD wesentlich laxer als die der anderen Alliierten, die dann ab Juli ins zerstörte Berlin kamen. Die kulturelle Blüte der ersten Nachkriegsmonate hatte Berlin den Sowjets zu verdanken.

Auf dem Kongreß „Die vier Besatzungsmächte und die Kultur in Berlin 1945–1949“, der in den letzten beiden Tagen unter Mitwirkung vieler Zeitzeugen im Zeughaus stattfand, kam auch die Kehrseite dieser Medaille zur Sprache. So erinnerte Ilse Tschörtner daran, daß sich die Hoffnung vieler, daß Macht und Geist in einer sozialistischen Gesellschaft eine Symbiose eingehen würden, natürlich nicht ganz erfüllte. Alexander Dymschitz beispielsweise, eine besonders schillernde Figur unter den Kulturoffizieren, schwenkte bald auf stalinistische Richtung ein. Und nicht nur er beugte sich dem Druck von Osten – oder wurde gebeugt. Es kam zu Fällen von Zensur, Thornton Wilders „Kleine Stadt“ konnte im Deutschen Theater nur ganz kurz gezeigt werden, vermutlich war die darin zum Ausdruck kommende Lebenssicht zu pessimistisch. Allmählich wurde statt dessen die Linie des sozialistischen Realismus in den Theatern durchgesetzt. Anderes: Kulturoffiziere, die zu herzlich fraternisierten, wurden abberufen, Redakteure der sowjetamtlichen Täglichen Rundschau wurden verhaftet etc.

Aber auch das ist wiederum nur eine Medaille der Nachkriegskulturpolitik. Denn eine Art Zensur gab es im Theaterbereich auch in den anderen Sektoren. So war die „Agentur“ für amerikanische Dramen (die die Amerikaner in ihrem Sektoren natürlich ebenso bevorzugt spielen ließen, wie die Franzosen die französischen) die amerikanische Militärregierung. Daß das Demokratieverständnis der Westalliierten spätestens nach dem Kongreß für die Freiheit der Kultur – dessen Mitbegründer Melvin Lasky ebenfalls an der Konferenz im Zeughaus teilnahm – in den fünfziger Jahren eindeutig antikommunistisch geprägt war, darf den Blick auf undemokratische Vorgänge im Westen nicht verschleiern.

Tschörtner berichtete in ihrem Vortrag auch über die vorzügliche Ausbildung von sowjetischen Kulturoffizieren. Sie lernten deutsche Dialekte, wußten, welche Regionen einander nicht grün waren. Humanistische Haltungen im einzelnen vor dem Hintergrund einer grundsätzlichen und fortgesetzten Deutschfeindlichkeit Moskaus, die sich u.a. in einer Ruhigstellung von in die Sowjetunion zurückgekehrten Kulturoffizieren ausdrückte, diese Darstellung Tschörtners provozierte im Auditorium gestern etliche Einwürfe.

Tulpanow beispielsweise habe an der Leningrader Universität durchaus in Amt und Würden gestanden, und überhaupt müsse man dies alles vor einem größeren Hintergrund sehen. Was ja immer stimmt, sicher aber besonders im Fall der sowjetischen Nachkriegskulturpolitik, deren Aufarbeitung mit der der anderen Westalliierten wohl noch kaum vergleichbar ist. Berlin zwischen Borschtsch und Parteibuch – ein gerade mal skizzierter Aspekt Berliner Kulturgeschichte.

Die Publikation der Tagungsvorträge von Klaus Anschütz, Brewster Chamberlin, Gabriele Clemens, Gerd Dietrich, Bryan von Sweringen, Ilse Tschörtner, Jürgen Wetzel u.v.a. ist für nächstes Jahr geplant.

Ein ausführlicher Bericht der gesamten Tagung folgt im Kulturteil.

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