Boris Johnsons neues Brexit-Gesetz: So oder so befremdlich
Großbritanniens Premier Johnson schockt mit seinem jüngsten Brexit-Schritt. Ist das wieder nur Säbelrasseln?
I n England fragt man sich: Wozu die ganze Aufregung? Es geht doch bloß um Irland. Die Insel war für England schon lange ein Störfaktor, der am besten zu ignorieren sei. Diese Haltung hat sich durch die gesamte Brexit-Saga gezogen.
Der ehemalige irische Diplomat Séan Ó hUigínn sagt, die Engländer haben nur ein Anliegen in Bezug auf Irland: Sie wollen nichts mehr davon hören. Die irische Grenze ist ein gutes Beispiel dafür. Das Vereinigte Königreich hat eine 500 Kilometer lange Grenze mit der EU, aber das hat man so lange verdrängt, bis es nicht mehr ging, weil die EU darauf bestand.
Das hat bei den Tories einen Schock ausgelöst. Sie verstehen bis heute nicht, wie die kleine Nachbarinsel zum Mittelpunkt der Brexit-Verhandlungen werden konnte. Man beschuldigt die EU, Irland als Schachfigur zu benutzen, um Großbritannien zu bestrafen, und man beschuldigt Irland, die EU zu benutzen, um die irische Vereinigung voranzutreiben.
Das Unverständnis für die Nachbarinsel drückt sich etwa darin aus, dass der Tory-Abgeordnete Andrew Bridgen glaubt, er habe nach dem Brexit ein Anrecht auf einen irischen Pass. Diese Arroganz ist nicht nur im Londoner Unterhaus, sondern auch in der Bevölkerung nach wie vor zu finden. Zwar sind die Schilder „Zutritt für Hunde und Iren verboten“ inzwischen verschwunden, aber irische Auswanderer erfahren in England nach wie vor Rassismus.
Oder könnte der jüngste Brexit-Gesetzentwurf wieder nur britisches Säbelrasseln sein, um Konzessionen bei den Verhandlungen um einen Handelsvertrag herauszuholen? Das wäre die harmlosere Interpretation. Die andere ist, dass Boris Johnson die Hardliner in seiner Partei, die eine Grenze in der Irischen See vehement ablehnen, beruhigen und die EU zwingen will, die Verhandlungen abzubrechen, um den ersehnten harten Brexit durchzusetzen.
Ein anderer Johnson, der großartige englische Schriftsteller Samuel Johnson, sagte mal, nichts Befremdliches habe lange Bestand. Hoffentlich behält er in Anbetracht der befremdlichen Politik seines Namensvetters recht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag