Boom mit Gefahren: Touristen als mitfühlende Entwicklungshelfer
Immer mehr Deutsche, die Nepal bereisen, engagieren sich vor Ort oder über Hilfswerke
taz: Herr Thapa, Sie lenken seit vielen Jahren die Deutsch-Nepalische Gesellschaft, die die Beziehungen zwischen Menschen aus beiden Ländern fördert. Darüber hinaus stehen Sie dem Netzwerk NGO-Forum Nepal vor. Was raten Sie deutschen Touristen, die in Nepal helfen wollen?
Ram Thapa: Mich erreichen immer mehr Anfragen von Deutschen, die in Nepal helfen wollen. Ich schätze, jeden Monat entsteht in Deutschland ein neuer Hilfsverein. Ich rate dazu, sich umzuschauen, ob es Vereine und Projekte gibt, in denen man sich einbringen kann. Es kostet viel Geld und Kraft, einen eigenen Verein zu gründen. Und man muss auch nicht alle Wünsche erfüllen, die Einheimischen einem antragen.
Wie erklären Sie sich die große Hilfsbereitschaft?
Häufig geht die Initiative von Touristen aus, die ein Dorf oder eine Person in Nepal in ihr Herz schließen und angesichts der weitverbreiteten Not sagen: Da muss ich was machen! Nach der Rückkehr gründen sie in Deutschland einen Verein und sammeln Spenden. Die Deutschen sind spendenfreudig.
Wie drückt sich diese private Entwicklungszusammenarbeit in Zahlen aus?
Insgesamt überweisen die NGOs jährlich rund 5 Millionen Euro nach Nepal. Zum Vergleich: Der Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit für Nepal betrug im Jahr 2007 rund 18 Millionen Euro.
In welchen Bereichen engagieren sich die Deutschen, welche Art von Projekten unterstützen sie?
Ein Drittel der Netzwerk-Mitglieder sind reine Kindervereine, das heißt, sie fördern den Schulbesuch von Jungen und Mädchen. An zweiter Stelle stehen Projekte zur Gesundheitsversorgung, Krankenhäuser, ländliche Gesundheitsstationen und Hilfe für Leprakranke. Für Umweltschutz oder Menschenrechtsarbeit gibt es in Deutschland leider kaum Unterstützung. In Kathmandu sind beispielsweise Bürgerinitiativen aktiv bemüht, den völlig verseuchten Bagmati-Fluss zu sanieren. Uns ist es bislang nicht gelungen, in Deutschland dafür Sponsoren zu finden.
Birgt der Boom in der Nepalhilfe denn nicht auch Gefahren?
Das ist wahr. Wenn zu viel Geld in ein Dorf oder eine Familie fließt, macht das auch abhängig und es verhindert notwendige Veränderungen vor Ort. Es gibt Schulen, die komplett mit deutschem Geld erbaut sind, viele Schüler werden von Deutschen gesponsert. Aber eigentlich ist Bildung eine der wichtigsten Aufgaben des Staates. Dieser hat den Sektor seit vielen Jahren stark vernachlässigt, aber dank großzügiger Auslandshilfe geht es auch so weiter. Durch die NGO-Hilfe wird verhindert, dass sich Druck für Reformen aufbaut, dass veraltete Strukturen geändert werden. Das ist natürlich von den Spendern nicht beabsichtigt, es kann jedoch an vielen Beispielen belegt werden. Platt gesagt: Für einen Nepalesen ist es mitunter leichter, Geld von Touristen zu erbetteln, als bei der Regierung sein Recht einzuklagen.
Welche Haltung nimmt denn die Regierung in Kathmandu gegenüber den Aktivitäten in- und ausländischer NGOs ein?
Während der autokratischen Königsherrschaft, die im April 2006 beendet wurde, ging der Staat mitunter sehr hart gegen unliebsame NGOs vor. Besonders bekamen das Menschenrechtsgruppen zu spüren, die Unterstützung aus dem Ausland erhielten. Jetzt regelt das sogenannte Social Service Centre, eine dem Sozialministerium angegliederte Behörde, die Arbeit der NGOs.
Ram Thapa, Vorsitzender der Deutsch-Nepalischen Gesellschaft in Köln, geb. 1950. Analyst in einem Kreditinstitut. Studium der Betriebswirtschaftslehre in Kathmandu und Erlangen. Diplomkaufmann. In Deutschland seit 1976.
Kontrolliert der Staat die Arbeit der NGOs?
Ich finde es richtig, wenn der Staat die Arbeit von NGOs kontrolliert, doch er soll sie nicht politisch behindern. Aber generell genießen die NGOs in Nepal große Privilegien, denn angesichts der Armut im Land wird ihre Arbeit dringend gebraucht. Manche Leute machen sich in der Szene auch einfach ein schönes Leben. Wer über 50.000 US-Dollar Spenden pro Jahr ins Land bringt, der darf den NGO-Direktor spielen, er bekommt jederzeit ein Visum und kann zollfrei Autos und andere Luxusartikel importieren.
Wie sieht Zusammenarbeit auf der persönlichen Ebene aus? Gibt es da nicht auch manchmal Reibereien?
Natürlich, wenn eine Seite der Geber und die andere der Nehmer ist, treten Spannungen auf. Viel hängt natürlich von den Persönlichkeiten ab. Es gibt Fälle, da haben sich die Partner nach zehn Jahren erfolgreicher Zusammenarbeit im Streit getrennt. Es gibt einige Geber, die einfach alles bestimmen und kontrollieren wollen. Bei etwa 30 Prozent der Kooperationen gibt es Reibereien, weil Erwartungen nicht erfüllt werden, weil Partner sich nicht verstehen und aneinander vorbeireden. Bei einigen ist auch Korruption im Spiel. Im Idealfall geht der Deutsche hin, baut etwas auf und übergibt es an nepalesische Partner.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe