■ Bonner Nebensachen aus aller Welt: Chelmut Khol, Gerchar Esreder und die Chemie
Im spanischen Radio und Fensehen üben sie schon seit Monaten kräftig den Nachnamen des Mannes, der nächsten Sonntag Bundeskanzler Helmut Kohl beerben könnte: „Esreder“, „Esroder“, „Eschreder“ wird der Niedersachse abwechselnd getauft. Das Ö sprechen, wenn überhaupt, dann nur die Deutschlandkorrespondenten richtig aus. Kein E vor das Sch zu basteln, das gelingt auch ihnen nicht.
Der Bundeskanzler ist da ein angenehmerer Zeitgenosse. Zwar weiß bis heute – nach 16 Jahren Amtszeit – die schreibende Zunft nicht, wo denn nun das H im Nachnamen hin soll. Aber ob „Khol“ oder „Kohl“ ist beim Sprechen einerlei. Und daß der Name auf spanisch mit „col“ zu übersetzen ist, und ein Gemüse von Form und Ausmaß des kanzlerischen Kopfes bezeichnet, das weiß jeder.
Die richtige Aussprache des Vornamens des pfälzischen Dauerkanzlers haben die Spanier von Khols bestem spanischen Freund gelernt. „Chelmut“ – mit einem stark kratzendem Rachenlaut – auf diese Art überwindet Spaniens Exregierungschef, der Sozialist Felipe González, und mit ihm 40 Millionen die Hürde des im Spanischen stummen H. Chelmut Khol nennt den Andalusier im Gegenzug einfach Philipp.
Bis heute trauere der Kanzler dem Mann nach, mit dem zusammen er so gern europäische Politik gestaltete, weiß Spaniens Presse immer wieder zu berichten. Ganz anders als mit González' Nachfolger, dem konservativen José Maria Aznar, habe zwischen dem Mann aus Oggersheim und dem aus Sevilla die „Chemie“ gestimmt. Freunschaftliche Nähe trotz parteipolitischer Ferne. Es menschelte eben.
Und wie das bei allen großen Lieben so ist, muß eine Anekdote her, um den magischen Moment zu beschreiben, als das Blut zu wallen begann: Chelmut und Philipp sollen auf einem Spaziergang eine Kuh gesehen haben. Der Andalusier, Sohn einer Farmerfamilie, begutachtete das Tier und schätzte das Gewicht. Der überraschte Oggersheimer ließ das Tier später nachwiegen. Und siehe da, der Philipp sollte recht behalten. Der Beginn einer langen Männerfreundschaft, die bis heute die Mehrheit der Spanier Chelmut Khol wählen ließe, wenn sie nur dürften. Kohl das ist für sie der Mann, der das junge demokratische Spanien bei der Hand nahm und in die EU führte „und uns mit dem Euro die Mark geschenkt hat“, da sind sich die Spanier sicher.
Der Name des cancilla, des Kanzlers, ist in Spanien untrennbar mit der im Ausland wohl bekanntesten deutschen Institution verbunden: el bundesbank. Sie steht für stabile Währung, die mit dem Ende der Pesete auch in Spanien Einzug halten soll. Euro = Mark = mehr Kaufkraft.
Und Liebe geht nun mal durch den Magen, durch den Saumagen, auch das weiß hier jeder. Philipp zumindest durfte das Leibgericht des Kanzlers in Deidesheim an der Weinstraße kosten. Sein Nachfolger Aznar nicht. Der lehnte bei seinem Antrittsbesuch beim „Gigante de Palatinato“ – dem Pfälzer Riesen – in dessen Lieblingskneipe aus lang zurückliegenden Heidelberger Studententagen gar ein Bier ab. Wie soll da „Chemie“ aufkommen?
Mit großen Fotoreportagen und langen Interviews versuchte die spanische Presse gestern ihren Lesern den Mann näherzubringen, der den Bundeskanzler vom Throne stoßen will. Und warum soll er den Spaniern gefallen? Weil er ein „pragmatisch, energischer Selfmademan“ ist und natürlich „Europäer“. Ein zweiter Khol eben.
Falls Esreder nächsten Sonntag tatsächlich gewinnen sollte – daran hegt die Presse auf der Iberischen Halbinsel in den letzten Tagen starke Zweifel – wird es lange dauern, bis die Spanier den Gerchar so ins Herz geschlossen haben wie den Chelmut. Reiner Wandler
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