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Bonner Bundestag im KSZE-Fieber

Bonn (afp) — Alle Parteien des Bundestages haben gestern die Ergebnisse des dreitägigen KSZE-Gipfels in Paris begrüßt. Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) bezeichnete das Treffen der 34 Staats- und Regierungschefs als „Weichenstellung für eine neue Epoche der europäischen Geschichte“. Die Europäer hätten den Kalten Krieg beendet und die historisch gewachsene Einheit des Kontinents neu begründet. Kohl gestand ein, daß die Union der KSZE- Schlußakte von 1975 zu skeptisch gegenüber gestanden habe. Dies habe sich „glücklicherweise als unbegründet“ herausgestellt.

Ausführlich schilderte Kohl die in Paris unterzeichneten Dokumente und Erklärungen. Damit seien „Ecksteine für eine dauerhafte und gerechte europäische Friedensordnung“ gelegt worden. Erstmals würden im KSZE-Rahmen gesamteuropäische Institutionen geschaffen sowie ein „beispiellos dichtes Netz des Dialogs und der Konsultationen“. In Paris sei deutlich geworden, daß Europa als „Stabilitätsanker“ die Europäische Gemeinschaft brauche. Noch vor der nächsten Europa-Wahl 1994 sollten die Rechte und Kompetenzen des Europäischen Parlaments gestärkt werden. Darüber hinaus müsse die Effizienz der Gemeinschaftsorgane nachdrücklich verbessert werden, forderte der Kanzler. Bundesaußenminister Genscher (FDP) betonte, über die im KSZE- Dokument genannten Institutionen hinaus sollten weitere Strukturen des Westens als ein Angebot an die östlichen Länder geschaffen werden. Er nannte hier einen gemeinsamen europäischen Rechtsraum, einen Energieverbund und Verknüpfungen bei der Infrastruktur sowie bei der Kommunikation.

Für die SPD begrüßten ihr stellvertretender Fraktionschef Horst Ehmke sowie Ost-Experte Egon Bahr die Ergebnisse des KSZE-Gipfels. Bei der konventionellen Abrüstung seien „beachtliche Ergebnisse“ erzielt worden, betonte Ehmke. Die Bundesregierung solle sich jetzt bei ihren Verbündeten für einen völligen Verzicht auf die nuklearen Kurzstreckenwaffen einsetzen. Bahr sprach von verpaßten Chancen. Eine dritte Nullösung sei fällig; nunmehr seien Waffenübergewichte auf der Seite der Nato festzustellen. Bei der Institutionalisierung der KSZE habe es „bestenfalls bescheidene Ansätze“ gegeben, kritisierte Ehmke. So forderte er die Einrichtung eines KSZE-Umweltrates und einer Aufsichtsbehörde für die Reaktorsicherheit. Die Grüne, Antje Vollmer, plädierte für eine europäische Konföderation. Jeder Versuch eines gesamteuropäischen Zentralismus dagegen befördere die „alten Großmachtrivalitäten“ und könne nur schiefgehen. Die Nato müsse entweder aufgelöst werden oder alle osteuropäischen Staaten inklusive der UdSSR aufnehmen.

Dokumentation auf Seite 10

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