Bonner Ausstellung über Römer und Germanen: Ein Barbar will nach oben
Eine Bonner Ausstellung über die Völkerwanderungszeit zeigt die Integration von Römern und Germanen als Erfolgsgeschichte. Das Scheitern überdeckt sie mit Schätzen aus Gold.
Der Mann ist ein Römer, keine Frage. Er trägt eine langärmelige Tunika mit Überwurf und Fibel wie westliche Staatsmänner der Gegenwart Anzug und Krawatte. Zu seiner Rechten posiert stolz Politikergattin Serena, Adoptivtochter des Kaisers Theodosius, daneben der gemeinsame Sohn Eucherius, den eine zusammengeklappte Schreibtafel als Hofsekretär ausweist - als eine Art persönlichen Referenten der Antike also, dessen Politkarriere vorgezeichnet ist. Schon der Umstand, dass es sich um eine Ein-Kind-Familie handelt, zeigt den Unterschied dieser bestens integrierten Familie zu den wilden Barbaren, die laut dem verbreiteten Vorurteil gerne schnackselten.
Dabei war der Dargestellte ursprünglich selbst ein Barbar. An kaum einer historischen Figur lässt sich die Integrationskraft des Römischen Imperiums besser demonstrieren als an diesem Flavius Stilicho, einem Vandalen in römischen Diensten, der nach dem Tod seines Förderers Theodosius 395 zum mächtigsten Mann Westroms aufstieg. So weit hatte es noch kein Fremdling aus dem Norden gebracht wie der Mann auf diesem Elfenbeindiptychon, mit dessen Hilfe jetzt eine Ausstellung in der Bonner Bundeskunsthalle die Kultursymbiose demonstrieren will, wie "Rom und die Barbaren" schließlich eingingen.
Im ersten Raum der Ausstellung stehen sich noch ein Römer und ein Barbar in Gestalt zweier Skulpturen konfrontativ gegenüber. Finstere Eisenhelme aus dem Mainzer Legionslager zeigen, dass es an der Rhein-Main-Donau-Friedensgrenze nicht immer harmonisch zuging. Noch heute betrachten die Bewohner des einst römischen Bonn die Menschen von der anderen Rheinseite als Barbaren. Und Venedig, wo die für Bonn stark veränderte Ausstellung bereits im Frühjahr zu sehen war, wurde einst von römischen Bürgern gegründet, die vor den vordringenden Hunnen auf die Inseln in der Lagune flüchteten.
Es war die Anziehungskraft des Imperiums selbst, die immer neue Wanderungsbewegungen aus der weniger wohlhabenden Peripherie hervorrief. Das musste nicht zwangsläufig eine Bedrohung sein. Über Jahrhunderte hinweg gelang den Römern die Integration immer neuer Zuwanderer nahezu reibungslos.
Seit den Markomannenkriegen des Kaisers Mark Aurel im späten zweiten Jahrhundert nahmen die Konflikte aber zu. Was wir heute die Zuwanderungs- und Integrationsfrage nennen, ließ die römische Politik nicht mehr los. Schwierig wurde es nicht in jenen Regionen, in denen das Imperium an mächtige Reiche grenzte, wie an jenes der Parther im Osten, dem heutigen Russland oder China vergleichbar. Problematisch waren die Bereiche ohne tragfähige politische Strukturen, die Failing States des germanischen Nordens.
Warum die Integration am Ende misslang, ob man von einem Scheitern überhaupt sprechen kann, das ist bis heute eine der größten Fragen der Geschichtswissenschaft - und eine der aktuellsten noch dazu, wie das wachsende Interesse an der römischen Spätantike zeigt. Zeitgleich mit der Bonner Ausstellung befasst sich das British Museum in London mit dem römischen Kaiser Hadrian. Im kommenden Jahr, zweitausend Jahre nachdem sich der römische Feldherr Varus in den Wäldern Germaniens verlor, wird im niedersächsischen Kalkriese eine Großausstellung zu sehen sein - unter der Schirmherrschaft der Bundeskanzlerin.
Die Bonner Ausstellung zeigt die römisch-germanische Integration als Erfolgsgeschichte. Damit knüpft sie an eine Interpretation an, die sich im Zuge westlicher Multikulti-Ideen seit den Siebzigerjahren durchgesetzt hatte: an die Vorstellung eines letztlich gelungenen Integrationsprozesses, der in der römisch-germanischen Kultursymbiose des christlichen Mittelalters gipfelte. Seit im westlichen Imperium der Gegenwart ein mögliches Scheitern dieses Integrationsprozesses in den Fokus rückt, werden dem allzu idyllischen Blick auf die Völkerwanderungszeit wieder Vokabeln wie "Untergang" oder gar "Ende der Zivilisation" gegenübergestellt.
Welche dieser beiden Sichtweisen zutrifft, hängt stark vom Blickwinkel ab. Wer an der Peripherie des Imperiums wohnte, musste den Untergang teils wirklich als plötzlich hereinbrechende Katastrophe erleben. Erschütternd sind die Berichte aus der Lebensbeschreibung des heiligen Severin, der den Zusammenbruch römischer Herrschaft im antiken Passau erlebte. In Rom oder anderen Metropolen des imperialen Kernraums konnte es dagegen vorkommen, dass vor allem wohlhabende Zeitgenossen von einem Untergang nichts bemerkten. Zwar verbreiteten Goten oder Vandalen kurzzeitig Terror wie heute etwa die New Yorker Anschläge vom 11. September 2001, doch ging das Leben in der einstigen Hauptstadt fast unverändert weiter.
Um diesen Prozess zu illustrieren, haben die Bonner Ausstellungsmacher Schätze über Schätze gehäuft: Grabungsfunde vor allem aus Europa nordöstlich der römischen Grenzen, von Deutschland bis Russland, von Polen bis Bulgarien - eine unglaubliche Anhäufung von bronzenen Schüsseln und Schalen, goldenen Spangen und Broschen. Vieles davon zählt zum größten Stolz der entleihenden Museen, und das meiste ist zum ersten Mal in Deutschland zu sehen.
In ihrer immer gleichen Präsentation legen sich diese Grabbeigaben aber wie eine Grabplatte über die Ausstellung. Was soll der Besucher eigentlich anfangen mit diesem gigantischen Friedhof, in den die Archäologen die Bonner Ausstellungshalle verwandelt haben? Dabei ließe sich viel herauslesen aus diesen Funden. Zum Beispiel, dass der Limes gerade nicht die undurchlässige Grenze war, für die ihn viele heutige Zeitgenossen halten. Dass die globalisierte Ökonomie des Imperiums weit darüber hinausstrahlte. Dass der römische Lebensstil für die germanischen Eliten jenseits der Grenzen dieselbe Attraktion hatte wie heute der westliche Wohlstand für Chinesen oder Brasilianer, für reiche Russen oder korrupte afrikanische Potentaten. Dass in dieser antiken Rolex-Kultur, die dennoch ein Segen war, der Kitsch oft genug über den guten Geschmack triumphierte - symbolisiert etwa in einer abscheulichen Halskette aus Bernstein, an der eine allzu groß dimensionierte Weintraube prangt.
Dass der Untergang des Imperiums vor allem für die kleinen Leute eine Katastrophe war, anders als heutige Globalisierungskritiker glauben, davon erzählt die Ausstellung nichts. Nichts davon, dass die Wasserleitungen versiegten, die Thermen schlossen, die flächendeckende und preisgünstige Versorgung mit mediterranen Grundnahrungsmitteln wie Wein, Getreide und Olivenöl zum Erliegen kam.
Es ist auch der Kleinmut deutscher Wissenschaftler, der aus dieser Präsentation spricht. Man vertraue "auf den hohen Bildungs- und Kenntnisstand des Publikums" und habe daher der Versuchung widerstanden, "Bezüge zwischen der Antike und unserer Zeit herzustellen", schreiben die Kuratoren im Begleitband. Welch ein Unterschied etwa zu der Londoner Hadrian-Schau, wo die Ausstellungsmacher in Sprache, Themenauswahl und Inszenierung den Bezug zur Gegenwart stets im Blick behalten - ohne deshalb in plumpe Gleichsetzung zu verfallen.
An einer Stelle will die Ausstellung dann doch didaktisch sein. Eine Videoproduktion soll das Wanderungsgeschehen verdeutlichen. Doch wie auf einer Landkarte kaum anders möglich, wird das überholte Bild von Eroberungszügen kompakter Völkerschaften wiederbelebt, als hätten Goten oder Vandalen die Gründung kompakter Nationalstaaten im Sinn gehabt. Die wahre Dynamik des komplexen Prozesses, der zwischen Perioden friedlicher Integration und Explosionen nackter Gewalt changierte, erschließt sich daraus kaum. Ebenso die Möglichkeiten guter oder schlechter Politik, an denen sich das Schicksal einer Zivilisation letztlich entschied.
Der Lebenslauf des Barbaren Stilicho zeigt, wie nah Rom an der Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert einer geglückten Integration schon gekommen war. Wäre einer wie er zum Kaiser aufgerückt - es hätte ein Signal sein können wie etwa die Wahl eines dunkelhäutigen US-Präsidenten.
Doch die Widerstände waren am Ende stärker. Die ausgleichende Politik Stilichos, sein multilaterales Gebaren im Umgang mit den Germanen erregten das Misstrauen der Mehrheitsgesellschaft in Italien. Der neue Kaiser Honorius, inzwischen volljährig, ließ seinen fähigsten General fallen. In Ravenna suchte Stilicho vergeblich Asyl in einer Kirche. Am 22. August 408 wurde er dort, erst 43-jährig, erschlagen. Es war, wie der italienische Publizist Indro Montanelli schrieb, "vielleicht das dümmste, niederträchtigste und katastrophalste der Verbrechen, die im Namen Roms begangen wurden". Ein Verbrechen, das einen Römer wieder zum Barbaren machte.
"Rom und die Barbaren. Europa zur Zeit der Völkerwanderung". Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, bis 7. Dezember. Der Begleitband kostet 29 Euro
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