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Bonn wußte und schwieg

Bundesregierung weiß seit 1986 um Militärgeschäfte mit Irak / Auch MBB ist möglicherweise am Raketengeschäft beteiligt  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Deja-vu-Erlebnis nach der Libyen-Affäre: Die Bundesregierung ist bereits seit 1986 darüber unterrichtet, daß im Irak ein Raketenzentrum entsteht, in dem vermutlich mit deutscher Beteiligung eine Mittelstreckenrakete entwickelt wird. Dies geht aus vertraulichen Angaben der Bundesregierung hervor, die der Wirtschaftsstaatssekretär von Wartenberg gestern vor dem Bonner Wirtschaftsausschuß machte.

Bekannt ist bisher, daß die Bielefelder Firma Gildemeister als bundesdeutscher Generalunternehmer für den irakischen Auftrag fungierte. Vermutlich ist aber auch MBB beteiligt. Offiziell wurde Gerät für metereologische Forschungen geliefert. Der im November 1984 abgeschlossene Vertrag soll ein Liefervolumen von 206 Millionen Mark betreffen.

Während aus dem Ausschuß intern berichtet wurde, spätestens 1986 habe die Bundesregierung geheimdienstliche Hinweise erhalten und trotzdem seien weiterhin Ausfuhrgenehmigungen bzw. Unbedenklichkeitsbescheinigungen erteilt worden, gab der Parlamentarische Wirtschaftssekretär Riedl (CSU) im Bundestag später öffentlich eine abgemilderte Version: Die Hinweise des Bundesnachrichtendiensts hätten sich „ab 1987 verdichtet„; danach seien keine Genehmigungen mehr erteilt worden. Auf die Frage, ob und wann bereits erteilte Genehmigungen widerrufen worden seien, konnte er aber keine Antwort geben. Riedl, der als MBB-Freund gilt, bestätigte allerdings, daß die angebliche Forschungsstätte im Irak eine „begrenzte Kapazität“ zur Produktion von Boden-Luft-Raketen haben könne. Auch gebe es „Hinweise“ auf die deutsche Beteiligung an dem Raketenzentrum. Aber, so Riedl: „Die Bundesregierung kann nicht hinter jeden deutschen Geschäftsmann einen Polizeibeamten stellen.“ Im Unterschied zur Libyen-Affäre handelt es sich bei MBB allerdings um einen staatseigenen Konzern, der eng mit Regierungsinteressen verflochten ist.

Albrecht Müller, SPD-Abgeordneter im Wirtschaftsausschuß, sprach gestern „von ganz klaren Parallelen zur Libyen -Affäre“. Es habe eine Fülle von Hinweisen gegeben, die nicht ausreichend beachtet worden seien. 1988 jedenfalls war die Regierung über das Irak-Projekt schon bestens im Bilde, als sie die Parlamentarier noch mit häppchenweisen Informationen über den Tornado-Export und die libysche Giftgas-Produktion erregte.

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