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Bonn will keine Entschädigung zahlen

Die Nachfahren von Opfern eines NS-Massakers im griechischen Distomo ziehen heute vor Gericht, um gegen die Bundesrepublik Deutschland Reparationsforderungen durchzusetzen  ■ Von Niels Kadritzke

Distomo liegt in der Nähe von Delphi, aber nur wenige Touristen kennen den unscheinbaren Ort. Für die meisten Griechen hingegen ist Distomo ein Begriff, zumindest, wenn sie die Nazi-Okkupation noch nicht vergessen haben. So wie man sich in Frankreich an Oradour und in Tschechien an Lidice erinnert.

Das Massaker von Distomo war ein abscheuliches Kriegsverbrechen der Waffen-SS. Das bestätigt auch die Aussage des Wehrmachtsrichters, der 1944 der Mord an über 200 Dorfbewohnern untersuchte.

NS-Unrecht oder Kriegsverbrechen

52 Jahre später spielt seine Aussage noch einmal eine juristische Rolle. In einem Prozeß vor der Zivilkammer des Landgerichts von Livadia klagen 162 Überlebende von der Bundesrepublik Deutschland eine finanzielle Entschädigung für den Verlust von Menschen und Lebenschancen ein. Ihre Forderungen summieren sich auf 9,4 Milliardern Drachmen, knapp 60 Millionen Mark, zuzüglich Verzugszinsen und Verfahrenskosten.

Dabei geht es auch um den Beweis, daß sich in Distomo ein NS- spezifisches Verbrechen abspielte, was eine Stellungnahme der deutschen Botschaft in Athen ausdrücklich verneint hatte. Das Morden der SS, so die Meinung der Bundesregierung, sei kein Fall von „NS-Unrecht“ gewesen, sondern lediglich eine „Maßnahme im Rahmen der Kriegsführung“. So wurde Anfang 1995 Argyris Sfountouris abgespeist, der das Massaker von 1944 als kleiner Junge überlebte und heute in Livadia als Kläger auftritt.

Der Grund ist offensichtlich. Man will die Klage unter dem Stichwort „Reparationen“ verbuchen, und die haben aus Bonner Sicht 50 Jahre nach Kriegsende „ihre Berechtigung verloren“. Man kann offenbar nicht verstehen, daß da ein paar nachtragende Griechen noch nichts von der Gnade der späten Wiedervereinigung gehört haben. Sie hätten im Februar 1990 die FAZ lesen müssen: „Für Bonn gilt es, eine Form zu finden, die einen Friedensvertrag – der nach dem Londoner Schuldenabkommen von 1953 gewaltige Schadenersatzzahlungen an zahlreiche Staaten der Welt zur Folge hätte – überflüssig macht.“

Die Rechtsmeinung der FAZ wird am Ende gegen die Klage von Distomo siegen. Denn Reparations- wie individuelle Wiedergutmachungsleistungen müssen – so die völkerrechtliche Lehrmeinung des Bundesverfassungsgerichts – von Staat zu Staat ausgehandelt werden. So wird auch die Taktik von Livadia nichts nützen, die der Präfekt der Provinz Voitia, Yannis Stamoulis, ersonnen hat.

Stamoulis, ein einflußreicher Pasok-Funktionär, führt die Klage treuhänderisch mit der Autorität der Präfektur. Aber eine griechische Provinz ist eben nicht völkerrechtsfähig. Und selbst wenn Stamoulis vor dem Zivilgericht gewinnen sollte, wäre das Urteil gegenüber einem fremden Staat nicht vollstreckungsfähig. Über seine Verbindlichkeit gegenüber dem deutschen Staat könnte allenfalls ein internationales Gericht befinden. Im Grunde müßten die Leute von Distomo ihre Regierung in Athen beauftragen, Verhandlungen auf staatlicher Ebene mit Bonn aufzunehmen. Aber davor scheut Athen zurück, um nicht einen mächtigen EU-Partner vor den Kopf zu stoßen. Im Grunde schützt Stamoulis mit seinem Prozeß auf Provinzebene auch die Athener Regierung, indem er sie eine ganze Zeitlang publizistisch aus der Schußlinie nimmt.

Daß Bonn nicht zahlen will, erstaunt in Griechenland freilich nicht. Aber man hätte doch ein moralisch sensiblere Reaktion erwartet. Der Hinweis aus dem Auswärtigen Amt, über Nato und EU seien doch reichlich deutsche Gelder nach Athen geflossen, hat sogar die EU-Kommission irritiert, die sich dagegen verwahren mußte, daß europäische Gelder als deutsche Reparationen verrechnet werden. Nicht besser kamen die Bundestagesgabgeordneten an, die darauf verwiesen, daß deutsche Touristen doch Milliarden Mark ins Land gebracht hätten.

Zwangsanleihe als allerletztes Mittel?

Die Bonner Mauertaktik hat freilich nur dazu gefährt, daß sich auch Griechenland auf seine Rechtspositionen besinnnt. Denn in einem Punkt hat die Athener Regierung juristisch glänzende Karten. 1942 hat die deutsche Besatzungsmacht bei der griechischen Zentralbank einen Zwangskredit aufgenommen, der mit Sicherheit zurückgezahlt werden müßte, wenn es zu einem internationalen Rechtsstreit käme. Denn daß die Bundesrepublik Rechtsnachfolger der damaligen Besatzungsmacht ist, ist völkerrechtlich unumstritten. Damit wäre eine Summe von 7,5 Milliarden Mark fällig, zuzüglich Zinsen. Diese Forderung wäre natürlich ein Politikum. Und damit eine Frage der Macht. Deshalb wird sie von Athen am Ende wohl doch nicht ernsthaft vorgebracht.

Aber vielleicht erinnert sich die Bundesregierung, daß deutsche Baufirmen ab diesem Sommer kräftig am Bau des neuen Athener Flughafens mitverdienen. Vielleicht kann Außenminister Kinkel die Hochtief AG überzeugen, daß sie eine kleine Spende nach Distomo schickt. Es wäre die angemessene symbolische Geste.

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