■ Bonn apart: Der Kern unserer Gesellschaft
Bonn (taz) – Das „Jahr der Familie“ ist mehr als überfällig, denn allenthalben herrscht Verwirrung.
Die Wahlprogramme der staatstragenden Parteien jedenfalls lassen nur den Schluß zu, daß über „Familie“ neuerdings deshalb soviel geredet wird, weil niemand mehr weiß, worum es sich dabei eigentlich handelt.
Daß die Grünen in dieser Hinsicht verklemmt herumdrucksen, verwundert nicht. Zwar leben die Angehörigen der bündnisgrünen Basis und des Überbaus nicht anders als der Rest der Bevölkerung in Familien, doch treu den eigenen Traditionen nennt man das nicht so: Wir halten aber die Neudefinition des Familienbegriffs für unumgänglich, lautet einer der drei Sätze im grünen Wahlprogramm, in denen das Wort Familie gewagt wird.
Die SPD, mit dem Begriff auch immer etwas verlegen, hat sich dem Verlangen gleich gestellt: In ihrem Programm prägen nicht etwa Familien weitgehend den Lebensweg jedes Menschen. Sozialdemokraten formulieren vielmehr korrekt: Familien als Lebensgemeinschaften von Erwachsenen mit Kindern prägen weitgehend usf. ...
Ist Verlaß auf die Union? Ein erster Blick in ihr Regierungsprogramm verheißt einen unbefangenen Umgang mit der heiklen Institution. Die Union spricht einfache Wahrheiten einfach aus: Die Familie bildet den Kern unserer Gesellschaft. Sie entspricht einem Grundbedürfnis der Menschen. Für Kinder ist sie die erste und wichtigste Gemeinschaft ...
Die beiden christlichen Parteien bekennen sich zudem unverändert zur Ehe und lehnen die rechtliche Gleichstellung nichtehelicher Partnerschaften rundweg ab.
Also nur alte Kamellen? Bei genauerer Lektüre bestätigt die Union voll und ganz einen anderen Satz aus dem grünen Programm. Das patriarchale Leitbild der Familie als allgemeingültige Lebensform sei brüchig geworden, heißt es da.
Wohl wahr. Denn wer, wie die Union postuliert, Familien stärken statt Bindungen lösen will, braucht heutzutage offenbar allerlei Bestechungsangebote an die Frauen.
Und das Programm schreckt diesbezüglich vor nichts zurück. Gemeinsame Verantwortung für die Kindererziehung, Teilzeitarbeit, Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, Weiterbildung während der Familienphase, Kontakthalteangebote und Maßnahmen zur beruflichen Wiedereingliederung – auch in der CDU/CSU-Familie ist die Frau nicht am Herd zu halten.
Die Union versteht sich auf den Umgang mit Traditionen: Sie nimmt zur Kenntnis, daß das ursprüngliche Leitbild für Vater, Mutter, Kind vor der Wirklichkeit versagt. Doch der gute alte Begriff Familie bleibt weiter im Besitz der Konservativen. Tissy Bruns
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