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■ Bonn apartHardrock mit Schröders

Liebes Tagebuch. Ich will nach Berlin. Der Donnerstag abend hat mir den Rest gegeben. Das Land Niedersachsen hatte in Bonn ein Konzert mit der Hannoveraner Rockband Scorpions veranstaltet. In der Museumsmeile. Zwischen blankgeputzten Marmorwänden, auf einem Kiesuntergrund, bei dem jeder einzelne Kieselstein vorher gewaschen und gefönt wurde. Bonn halt.

Gastgeber waren Schröder und seine Gattin, „Familie Schröder“, wie Sänger Klaus Meine von der Bühne aus beliebte zu meinen.

Beim Konzert waren zwei Sorten von Menschen: Diejenigen, die gewöhnlich Eintritt zahlen, wenn sie ein Konzert besuchen, und diejenigen, die nichts zahlen mußten, weil sie eine DIN A4 große Einladungskarte für den VIP-Bereich hatten. Beide Gruppen waren durch einen schmiedeeisernen Zaun säuberlich voneinander abgetrennt: Die bessergekleideten normalen Bonner und die noch besser gekleideten VIPs. Bonn halt.

Die VIPs, es mögen einige hundert gewesen sein, hatten fast alle ein Jackett an, viele Anzug und Schlips. Sie standen da mit ihren Sektgläsern in der Hand wie auf einem Stehempfang. Wer während des Konzerts nicht plauderte, galt als ungesellig. Wer kein Sektglas in der Hand hielt, hatte es auf der Toilette vergessen oder das leere Glas ins Jackett gesteckt.

Ja, liebes Tagebuch, ich war schon sehr betroffen. Ich mußte daran denken, daß die Scorpions mal auf einem Plattencover ein nacktes, minderjähriges Mädchen abgebildet hatten und daß Gerhard Schröder mal ein langhaariger Juso-Rocker war. Und nun winkten sie sich fröhlich von Bühne und VIP-Bereich aus zu. Ob die Scorpions mal für einen Moment überlegt haben, daß das Land Niedersachsen in dieser Woche einen Gesetzentwurf durchbringen wollte, der vorsieht, die Sozialleistungen für Flüchtlinge zu kürzen? Aber sowas interessiert die Rocker von heute ja nicht mehr.

Und dann, liebes Tagebuch, das Schlimmste: Ich sah im VIP- Bereich einen Typen mit blauem Jackett und Sektglas in der Hand. Der sah so aus, als würde er die Veranstaltung kritisch hinterfragen. Aus schlechtem Gewissen hob der mal die Arme zum Klatschen über den Kopf, ließ das aber schnell bleiben, weil er wohl Angst hatte, die Nähte seines Jacketts könnten platzen. Und das Allerschlimmste, liebes Tagebuch: Der Typ war ich. Markus Franz

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