■ Bonn apart: Seele (52), zurück
Es gibt Momente, die sind heilig. Die überstrahlen den taubengrauen Alltag und machen sogar meine Tante Martha froh. Wie am Donnerstag morgen auf dem Sofa beim Zeitunglesen. „Mit 52 wieder ins Vorzimmer des Kanzlers“ prangte als Überschrift in der Bild, und eine energische Frau mit Igelhaarschnitt strahlte uns an wie Rudolf Scharping bei seiner ersten Panzerfahrt als Verteidigungsminister. Das heißt, wenn der es nicht doch noch wie Jost Stollmann macht.
Aber Scharping macht es ja immer, wie er es macht: als Spielkamerad vom Knüppel aus dem Sack.
Die Unterzeile in der Bild- Zeitung lautete: „Schröder holt Helmut Schmidts treue Seele zurück.“ Jahrelang war sie Sekretärin beim Kanzler, die sozialdemokratische Juliane Weber sozusagen. Dann war sie jahrelang Sekretärin beim ehemaligen Kanzler, eine Angestellte beim Hamburger Weltökonom sozusagen. Heute ist sie 52. Sieh mal an. Gehört man also noch nicht zum alten Eisen. Das ist der Gerd. Unser neuer Kanzler. Bild lobt: „Chefs, nehmt Euch ein Beispiel am neuen Kanzler.“
Da wird das Herz zum Germknödel. (Na deswegen, Tante Martha, weil es aufgeht.)
Aber dann geht's mal wieder rund bei Omma und ihrem Ernst am Kaffeetisch, wo in Gelsenkirchen ist. Die Neue im Kanzleramt ist natürlich Tischgespräch, die wo Marianne Duden heißt. Meine Omma ihr Ernst grummelt: „Diese alte Schabracke, hätten die denn nich wat Leckereres finden können?“
„Ach Du“, sacht Omma. „Bin ich etwa jünger? Könntest du doch gar nichts mehr mit anfangen.“
In das Scheppern eines Kaffeeservices hinein, in das ein Gehstock eingeschlagen hat, sacht Tante Martha: „Die Duden, die kenn' ich doch. Da schlag' ich immer die Wörter nach, die ich nicht kennen tue.“
Klein-Fritzchen ruft: „Ich möchte auch, daß der Schröder meine treue Seele zurückholt, wenn ich tot bin.“
Das schafft natürlich. Da ist alle besinnliche Freude auf einmal hin. „Mensch Leute“, sach ich: „Ist doch ein toller Akt von dem Schröder, daß er den Alten wieder Auftrieb gibt.“
Omma ihr Ernst grummelt: „So alt ist die auch wieder nicht. Guckt Omma an.“
Tante Martha sacht: „Omma, musse doch nich weinen für. Warst doch auch mal jung.“
Klein-Fritzchen jammert: „Muß ich auch so alt werden wie die Frau auf dem Foto?“
Da schluchzt auch Tante Martha auf, die wo 54 ist, fällt Omma in die Arme, Klein- Fritzchen vergräbt seinen Kopf mit angstverzerrtem Gesicht in Ommas Schoß, und nur Omma ihr Ernst grummelt nicht mehr: „Ich sach ja. Nix als Ärger mit die alten Frauen. Die hätten 'ne Junge nehmen sollen.“ Markus Franz
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