Bombenterror im Sudan: In ständiger Angst vor dem Tod

Jagdflugzeuge überfliegen fast täglich die Dörfer in den Nuba-Bergen – Omar al-Bashir will es so. Es gibt nichts mehr zu essen. Außer wilde Blätter.

In den Nuba-Bergen trägt diese Frau Essen: Ob die Schale mehr beinhaltet als Blätter? Bild: reuters

Ein Schreibtisch, ein Stuhl, Papier und ein Stift. Das ist nicht nichts, das ist sogar schon einiges. Aber mehr hat Barbaras Kuku dann auch nicht. Kuku, ein kleiner, energischer Mann von vielleicht Mitte dreißig, ist Vertreter der Rebellenregierung in den sudanesischen Nuba-Bergen und sitzt vor seinem Schreibtisch in einer Lehmhütte.

Er hat also doch noch etwas mehr, nämlich ein Dach über dem Kopf, es ist aus Wellblech. Trotzdem waren seine Vorstellungen davon, wie es sein würde, wenn die Befreiungsbewegung des sudanesischen Volkes – Nord (SPLM-N) eines Tages endlich an der Macht wäre, etwas anders. Denn die Rebellenbewegung kontrolliert die Nuba-Berge zwar faktisch mit ihrer Armee SPLA-N, kann aber der Bevölkerung nichts bieten. Statt zu verwalten und vielleicht sogar Entwicklung zu schaffen, kann Barbaras Kuku den Menschen nur bei der Flucht aus dem Gebiet helfen, für das er und die übrigen Vertreter der SPLM-N zuständig sind.

Die Menschen wollen fliehen, weil das Überleben in den Nuba-Bergen kaum noch möglich ist. Seit rund einem Jahr lässt der sudanesische Präsident Omar al-Bashir seine Luftwaffe regelmäßig Angriffe fliegen, und die Bomben treffen meist zivile Ziele. Die Bevölkerung lebt deshalb in ständiger Angst vor dem Tod.

Der Hintergrund der Kämpfe ist komplex. Während des langen Krieges um die Unabhängigkeit des Südsudan kämpften die Rebellen in den Nuba-Bergen Seite an Seite mit denen im Süden. Als Angehörige afrikanischer Ethnien fühlen sie sich gleichermaßen von den wechselnden, aber immer arabischen Regierungen des Sudan unterdrückt. Als Khartum 2005 mit dem Süden einen Friedensvertrag unterzeichnete, hörten die Kämpfe auch in den Nuba-Bergen auf.

In dem Friedensvertrag blieb der Status der Region allerdings offen. Die Bevölkerung sollte in einem Referendum später selbst bestimmen, ob sie zum Norden oder zum Süden gehören will. Diese Abstimmung ließ al-Bashir nie stattfinden. So wurde der Südsudan am 9. Juli 2011 ohne die Nuba-Berge unabhängig, deren Bevölkerung auch gar nicht unbedingt zum Süden gehören will.

Der gemeinsame Kampf

„Wir wollen das Regime im Norden verändern“, erklärt Barabas Kuku. Ihr Ziel sei ein demokratischer Sudan, in dem auch die afrikanischen Ethnien nicht unterdrückt würden. Die Unabhängigkeit erstrebt die SPLM-N nur für den Fall, dass sich die Regierung in Khartum nicht verändern lässt. Die Religion spielt dagegen als Kriegsgrund für die Rebellen kaum eine Rolle. In den Nuba-Bergen leben Christen und Muslime in Frieden miteinander und kämpfen gemeinsam gegen die Regierung im Norden.

Anlass dafür, dass sie im Juni 2011 erneut zu den Waffen griffen, war das Ergebnis einer Gouverneurswahl, die in ihren Augen gefälscht sein musste: Da gewann Khartums Kandidat, der von Den Haag als Kriegsverbrecher gesuchte Ahmed Haroun, überraschend gegen Abdul Aziz, den populären SPLM-Mann.

Für Kuku sind Stift, Papier und Schreibtisch also ausgesprochen hilfreich, denn damit kann er den Flüchtenden wenigstens die Dokumente ausstellen, die sie brauchen, um das Kriegsgebiet verlassen zu können. „Ohne diese Papiere werden sie auf dem Weg sofort angehalten“, sagt er in das Halbdunkel hinein, das im Inneren der Verwaltungshütte herrscht. Haben sie Kukus Unterschrift, können sie sich auf die mühsame, oft tagelange Reise in eine unklare Zukunft machen, in der eher nur neues Elend auf sie wartet, das Elend der Flüchtlingslager.

Sie gehen nach Yida, in einen Ort kurz hinter der südsudanesischen Grenze, in dem inzwischen 35.000 Flüchtlinge unter einfachsten Bedingungen hausen. Oder gleich noch weiter Richtung Süden. Wer Kraft und Geld genug hat, schafft es vielleicht sogar bis nach Kenia, in das längst überfüllte Lager Kakuma.

Die wilden Blätter

Wer durch die Nuba-Berge fährt, begreift schnell, warum die Menschen zu Zehntausenden fliehen. Die Piste führt durch karges, kaum bevölkertes Land, das von pittoresken Gesteinsformationen durchzogen ist. Hin und wieder sieht man Kinder oder Frauen, die wilde Blätter ernten und essen. Die Nuba-Berge sind etwa so groß wie Baden-Württemberg und waren mal Heimat für rund 400.000 Menschen. Inzwischen dürften es deutlich weniger sein.

Etwa drei Stunden Autofahrt von Kukus Schreibtisch entfernt, sitzt Habed Mustafa Kodi in einem Baum und hackt mit einer Axt auf die Äste ein. Unten haben sich bereits ein paar ältere Frauen versammelt und gucken voller Erwartung nach oben. Dann fallen die ersten Äste, und zu den Frauen gesellen sich noch einige Ziegen und eine Kuh. Alle machen sich hastig über die frischen, hellgrünen Blätter her. „Seit April haben wir nichts mehr zu essen, nur noch wilde Blätter“, sagt eine der Frauen. „Ich weiß nicht, wie, aber irgendwie überleben wir.“

Gewagte Feldarbeit

Der Grund für den Hunger ist der Krieg. Weil infolge der regelmäßigen Luftangriffe schon viele Menschen bei der Feldarbeit verletzt wurden, wagt kaum noch jemand, seinen Acker zu bestellen. Deshalb war bereits die letzte Ernte schlecht, und alle Vorräte sind längst aufgebraucht. Jetzt, kurz vor der nächsten Regenzeit, müssten die Menschen wieder auf ihren Feldern sein, aber bei einer Fahrt durch die Berge sind nur vereinzelt ein paar Wagemutige zu sehen. Bis zur Ernte wird es noch ein paar Wochen dauern, und reichen wird es längst nicht für alle.

Habed Mustafa Kodi ist jung und kräftig, aber seine Worte sind trotzdem kaum zu verstehen. „Wir haben Hunger“, sagt der 27-Jährige leise. Er ist mittlerweile aus der Baumkrone zurück und sitzt im Unterschlupf seiner Familie in einem Ort namens Sanjak. „Im letzten Monat haben die Einheimischen noch ihr Getreide mit uns geteilt“, erzählt er, „aber seit zwei Wochen hat niemand mehr etwas. Jetzt leben wir alle von Blättern.“

Seine Familie hat sich zum Schutz vor Sonne und Regen ein Gerüst aus Ästen, Baumrinde und Holzstücken gebaut. Auf dem Dach liegt eine große Plastikplane, die ebenfalls ein Geschenk von Nachbarn ist. Sie waren es auch, die Habeds Familie zwei grob gezimmerte Holzbetten und zwei Matratzen brachten, die sich die achtköpfige Familie seitdem irgendwie teilt.

Zu erklären, warum sie überhaupt aus ihrem Dorf geflohen sind, fällt ihm noch schwerer als das Reden über den Hunger. „Sie haben die Frauen vergewaltigt“, flüstert er. Durch mehrere Fragen lässt er sich entlocken, dass „sie“ sudanesische Soldaten waren, die regelmäßig kamen, „etwa einmal im Monat“. Die Angst vor diesem wiederkehrenden Ritual der Gewalt begleitete Habed im Alltag. Natürlich litten die Frauen noch mehr als die Männer, aber allen wurde wieder gezeigt, wie ausgeliefert und schutzlos sie waren.

Irgendwie überleben

Dazu kam dann noch die Panik vor den Bombern. MIG-Jagdflugzeuge und Antonow-Transportmaschinen hätten den Ort fast täglich überflogen und ihre Bomben wie willkürlich fallen gelassen, erzählt Habed. Nachdem im April zwei Brüder seines Vaters bei einem Luftangriff getötet worden waren, entschloss sich die Familie zur Flucht. Jetzt überleben sie irgendwie, jedenfalls vorerst.

Nur ein paar Kilometer von Sanjak entfernt liegt der Ort Tongoli. Während Sanjak wegen des Sichtschutzes durch die Bäume als eine Art „Geheimtipp“ gilt, ist Tongoli wegen seiner besonderen Gesteinsformation ein Magnet. Im Zentrum des Dorfes erhebt sich ein Berg, der von Höhlen durchzogen ist. Dort leben die Menschen, weil sie hoffen, auf diese Weise vor den regelmäßigen Luftangriffen sicher zu sein.

Kodjo Kalo Kuku steigt mit geübten Schritten durch die Höhlen, die er als Unterschlupf nutzt. In einer steht ein grob gehauenes Holzbett, in einer anderen ein Tonkrug. Darin bewahrte er sein Sorghum auf, als er von dieser Getreideart noch etwas hatte. Das ist lange her, der Krug ist schon seit Monaten leer. Auch Kodjo kann nicht richtig erklären, wovon er eigentlich lebt. „Wir sind auf wilde Pflanzen angewiesen“, sagt er. „Wir überleben, sind aber immer hungrig.“

Wer krank oder von den Bomben getroffen wird, bekommt nur mit viel Glück medizinische Hilfe. Der einzige Arzt praktiziert in einem Krankenhaus in Kauda. Wenn die Straßen wegen heftiger Regenfälle nicht gerade unpassierbar sind, ist Kauda von Tongoli drei bis vier Autostunden entfernt. Aber weil so gut wie niemand ein Auto hat, werden viele Patienten tagelang zu Fuß herangeschleppt. Das Krankenhaus wird von der Diözese von El Obeid betrieben, zu der auch die Nuba-Berge gehören.

In einem Haus, das eigentlich für 80 gebaut wurde, stehen jetzt 300 Betten. In einem davon liegt die 22-jährige Malda. Ihr Gesicht, ihre Arme und Beine sind schwer verbrannt. Sie hätte das Flugzeug gehört und noch versucht, mit ihren Kindern ein Versteck zu erreichen, erzählt sie mit leiser Stimme. Aber ihr Fluchtversuch kam zu spät, das Feuer aus der Bombe holte sie ein. Ihre beiden Kinder, 18 Monate und 4 Jahre alt, waren auf der Stelle tot.

Napalm oder Ähnliches

Der Arzt Tom Catena, der das Krankenhaus leitet, hat in der jüngsten Zeit mehrere Patienten mit schwersten Verbrennungen behandelt. „Wenn diese Bomben kein Napalm enthalten, dann etwas Ähnliches“, sagt er. „Konventionelle Bomben sind das bestimmt nicht.“ Die Patienten, die mit diesen Brandverletzungen zu ihm kämen, seien alle auf dieselbe, furchtbare Weise verletzt: „Immer sind das Gesicht, beide Arme, beide Beine und der Rücken verbrannt.“

Im Krankenhaus liegen sie dann unter Moskito-Netzen, die über eine Gitterkonstruktion gespannt sind, damit der Stoff nicht an den nässenden Brandwunden klebt. Von dem achtjährigen Cholda ist unter dieser Konstruktion nur ein verbundenes Bündel zu sehen, und eine leise, klagende Stimme zu hören. Auch er ist über und über mit Verbrennungen dritten Grades bedeckt, das rohe Fleisch liegt frei.

Catena, ein asketischer US-Amerikaner, sieht genug, um die Gefahr auch für sein eigenes Leben zu kennen. Trotzdem denkt er nicht daran, sich den Flüchtenden anzuschließen und die Nuba-Berge zu verlassen. „Ich hätte ein schlechtes Gewissen, wenn ich die Menschen alleine ließe.“ Immerhin kann er etwas tun – auch wenn die Arbeit immer schwieriger wird.

Denn Omar al-Bashir verhindert humanitäre Hilfe, alle Straßen aus dem Sudan in die Berge sind gesperrt. Der einzige Korridor für Medikamente und Lebensmittel ist eine Straße aus dem Süden, die aber, wenn der schwere Regen Ende Juni erst einmal einsetzt, für Monate unpassierbar sein wird. Dann werden die Menschen in den Nuba-Bergen von der Außenwelt völlig abgeschlossen und dem Bombenterror ausgeliefert sein.

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