piwik no script img

Bombe im Haus

Paris (afp/taz) — Haben wir alle Bomben zu Hause? Diese besorgte Frage stellen sich viele Franzosen, seit sie vor einigen Tagen durch den Anblick des völlig verwüsteten Gesichts eines 30jährigen Mannes schockiert worden waren. Verantwortlich für den Unfall war ein Sprühdosen-Treibgas, das zwar das Ozonloch nicht vergrößert, dafür aber hoch explosiv ist.

Denis Benoliel ist auf alle Zeiten durch die Explosion von Sprühdosen-Treibgas schrecklich entstellt. Der Unfall ereignete sich vor fast zwei Jahren durch eine Gasexplosion beim Versprühen von Insektenvernichtungsmittel gegen Ungeziefer in seiner Wohnung. Doch erst nachdem Benoliel in der vergangenen Woche in einer Reportagesendung des Staatssenders Antenne-2 sein zerstörtes Gesicht erstmals einer breiten Öffentlichkeit zeigte, ist die Debatte um die Sicherheit der Sprühdosen in Gang gekommen.

Die Spraydosen mit Körperpflege- und Reinigungsmitteln, die in den meisten Haushalten zu Dutzenden in Badezimmern und Besenschränken stehen, sind durch den Feldzug gegen die umweltschädlichen Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKWs), die bis 1997 in Europa verschwunden sein sollen, auf neue Art für den Benutzer gefährlich geworden. Denn die Treibgase, die an die Stelle des Ozonschädigers treten, sind besonders leicht entzündlich: Propan, Butan und Dymethyläther. Die Sprühdosen-Industrie, durch Benoliels Auftritt aufgeschreckt, wehrte neue Angriffe jedoch entschlossen ab. Das Unfallrisiko sei bei normaler Verwendung „minimal“, erklärte sie nach Benoliels aufrüttelndem Fernsehauftritt.

Die Branche hat in den vergangenen Jahren bereits Millionen aufgewandt, um sich dem stufenweisen FCKW-Verbot anzupassen. Die Sprühdosen-Erzeugnisse stellen in der französischen Wirtschaft einen bedeutenden Sektor dar. Rund hundert Unternehmen produzieren die 400 Millionen Spraydosen, die jährlich in Frankreich verkauft werden. Allein die Hälfte der Produkte dienen der Schönheits- und Körperpflege, bei 27 Prozent handelt es sich um Reinigungsmittel und bei zwölf Prozent um Medikamente.

Ein Ausweg aus der Risikozone ist vorerst nicht in Sicht: Die Wissenschaftler haben noch keinen Ersatz für die explosionsgefährdeten Spraygase gefunden. Eine Expertenkommission „empfahl“ in einem am Wochenende veröffentlichten Bericht gleichwohl die Verbannung der besonders leicht entzündlichen Gase Butan, Propan und Dymethyläther — also gerade der Stoffe, die an Stelle von FCKW verwendet werden. Außerdem rieten die Treibgas-Experten, „wo dies möglich ist“, vom Gebrauch der Sprühdosen ab und sprachen sich für die Rückkehr zum alten Zerstäuber-System aus. Die Kennzeichnung der Spraydosen solle verbessert und insbesondere der Entzündlichkeitshinweis deutlicher gemacht werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen