Bolivien vor der Zerreißprobe: Evo schmeißt US-Botschafter raus
Der Konflikt zwischen linker Regierung und Opposition eskaliert. Jetzt soll der US-Botschafter das Land verlassen. Die Regierung wirft ihm vor, an einer Verschwörung beteiligt zu sein.
Am zweiten Tag gewalttätiger Unruhen in fünf bolivianischen Tieflandprovinzen hat Präsident Evo Morales die Mitverantwortung der US-Regierung angeprangert. "Ohne Angst vor dem Imperium erkläre ich heute vor dem bolivianischen Volk Herrn Goldberg, den Botschafter der Vereinigten Staaten, zur Persona non grata", sagte Morales am Mittwoch in einer vom Fernsehen übertragenen Rede. Washingtons Chefdiplomat Philip Goldberg sei an der Verschwörung "gegen die Einheit des Landes und die Demokratie" beteiligt, behauptete der sozialistische Präsident nicht zum ersten Mal.
Wie gewohnt wies das US-Außenministerium die Anschuldigungen zurück. Doch in Bolivien ist es ein offenes Geheimnis, dass Balkanexperte Goldberg enge Beziehungen zu jenen Teilen rechten Opposition pflegt, die aus ihren separatistischen Ambitionen keinen Hehl machen. Am 24. August besuchte der Botschafter Morales prominentesten Gegenspieler Rubén Costas, den Gouverneur der ostbolivianischen Provinz Santa Cruz. Die gleichnamige Provinzhauptstadt ist die Hochburg der weißen Oligarchie im ressourcenreichen, aber relativ bevölkerungsarmen Tiefland, das seit Mai in vier Referenden mehrheitlich für eine Autonomie von La Paz votiert hatte. Tage nach der Visite Goldbergs begannen die Costas-Anhänger ihre jüngsten Attacken gegen die verhasste Zentralregierung, zunächst mit Straßenblockaden.
Am Dienstag, Stunden nach der Rückkehr von "Bürgerführer" Branco Marinkovic aus den USA, eskalierte die Lage. Hunderte meist jugendliche Randalierer besetzten mehrere Regierungsbüros in Santa Cruz. Nach stundenlangen Straßenschlachten mit Polizisten und Soldaten stürmten sie die Einrichtungen des Instituts für Agrarreform, der Steuerbehörde, der Telefongesellschaft Entel sowie des staatlichen Fernsehens und plünderten sie. Costas feierte die Aktionen am Abend als "Antwort auf die Gewalt und Repression einer faschistischen Regierung gegen ein tapferes und heroisches Volk". Auch in den Provinzen Tarija, Pando und Beni wurden Flughäfen und Büros der Zentralregierung besetzt.
In La Paz sprach Innenminister Alfredo Rada vom "Beginn eines Staatsstreichs" gegen die Einheit des Landes und die Demokratie. Verteidigungsminister Walker San Miguel schloss jedoch die Verhängung des Ausnahmezustands aus. In der Nacht zum Mittwoch besetzten rund 100 Protestierer eine Erdgasanlage in der Provinz Chuquisaca und legten die Produktion lahm. Stunden später kam es im benachbarten Tarija zu einer Explosion an einer Gaspipeline - offenbar, nachdem Saboteure ein Ventil zugedreht hatten. Santos Ramírez von der staatlichen Erdgasgesellschaft YPFB sagte, bis zur Reparatur müsse Bolivien deswegen seine Erdgaslieferungen an Brasilien um 10 Prozent reduzieren.
Morales-Anhänger kündigten hingegen Landbesetzungen an. Dem Radiosender Erbol sagte Kleinbauern-Sprecher Juan Barea, die Großgrundbesetzer von Santa Cruz müssten sich auf den Verlust ihre Ländereien einstellen: "Wir werden das tun, was der Staat nicht geschafft hat." Außerdem blockieren regierungstreue Kleinbauern seit Mittwoch zwei Hauptverkehrsstraßen, die nach Santa Cruz führen. Damit wollen sie die Autonomisten dazu zwingen, die Besetzungen der Regierungsstellen zu beenden. Durch die Stadt zogen auch vorgestern schwarze Rauchschwaden von brennenden Autoreifen. Der Kommandant der 8. Heeresdivision Marco Bracamonte warnte, künftig würden die Soldaten bei Angriffen ihre Waffen einsetzen. Doch an der Loyalität der Streitkräfte zu Morales gibt es Zweifel.
In der Provinzhauptstadt Tarija attackierten Autonomieanhänger die HändlerInnen eines Bauernmarkts, die zuvor für Morales demonstriert hatten. Aktueller Streitpunkt ist die teilweise Verwendung der Einnahmen aus der Gasförderung für die "Rente der Würde", die die über 60-jährigen BolivianerInnen seit Febuar erhalten. Die beträgt umgerechnet maximal 20 Euro monatlich. Außerdem lehnt die Opposition die neue Verfassung mit erweiterten Rechten für die Indígenas ab, die Morales Anfang 2009 durch ein Referendum bestätigen lassen will.
Die Mitglieder der "Santa-Cruz-Jugend" halten sich vorzugsweise an wehrlosen Indígenas schadlos. Jorge Chávez, ein Anführer aus Tarija, fasst den Konsens der militanten Rechten so zusammen: "Wenn es nötig ist, wird Blut fließen. Wir müssen den Kommunismus aufhalten und die Regierung dieses unseligen Indianers stürzen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“