Bohrschlamm auf Schleswig-Holsteins Böden.: Öl auf dem Acker
In 100 Gemeinden in Schleswig-Holstein lagert Bohrschlamm – wie gefährlich die Altlasten sind, ist unbekannt.
Dass Bohrschlämme an zahlreichen Orten in Norddeutschland lagern, ist seit Jahren bekannt. Schließlich wird seit über eineinhalb Jahrhunderten in der norddeutschen Tiefebene nach Öl gesucht (siehe Kasten). Erst seit wenigen Jahrzehnten wird der mit Mineralölen und Chemikalien durchsetzte Schlamm als giftiger Abfall behandelt und entsorgt. „Früher wurde das Zeug auch kurzerhand vor Helgoland verklappt“, so Claudia Bielfeldt, Landesvorsitzende des Umweltverbandes BUND. Oder der Schlamm wurde eben auf Felder geschüttet.
Das vom Grünen Robert Habeck geführte Ministerium verweist nun darauf, dass das Land nicht mehr zuständig sei: Mitte 2014 wurde die letzte Schlammgrube in Schleswig-Holstein aus der Aufsicht des Bergbauamts entlassen. Alles Weitere sei Sache der Kreise und deren unterer Naturschutzbehörden.
Bielfeldt kritisiert, dass sich das Land damit die Sache zu einfach mache: „Das Umweltministerium ist die Fachaufsicht für die Naturschutzbehörden. Gäbe es den politischen Willen, sich der Sache anzunehmen, fände sich auch ein Weg.“ Aber offenbar scheine nach der Maxime verfahren zu werden: „Aus den Augen, aus dem Sinn.“
Erste Erdölfunde gab es in Schleswig-Holstein in den 1850er-Jahren. Etwa ab 1900 gingen die Bohrungen weiter in die Tiefe, entsprechend mehr Schlamm fiel an.
Viele Gruben wurden nur wenige Jahre betrieben, die längste Nutzungsdauer für eine einzelne Ölquelle erstreckt sich von 1930 bis 1982, also 52 Jahre.
Im Wattenmeer befindet sich die Bohrinsel Mittelplate. Von dort aus wird das laut Betreiber DEA „mit Abstand förderstärkste Ölfeld in Deutschland“ ausgebeutet. Seit 1987 wurden aus den ölführenden Schichten unter der Nordsee über 30 Millionen Tonnen Öl gefördert. Weitere 20 bis 25 Millionen Tonnen gelten als noch gewinnbar.
Derzeit gibt es noch vier „Bergbauberechtigungen“ für die Landflächen von Schleswig-Holstein. Das ist ein deutlicher Rückgang gegenüber 2014, als noch an 14 Orten gebohrt werden durfte.
Noch unklar ist, wie es in Angeln im Nordosten Schleswig-Holsteins weitergeht, wo sich eine von mehreren Privatleuten getragene Firma um die Bohrrechte bewirbt. Gegen die Pläne gibt es Widerstand aus der Bevölkerung.
Eine aktuelle Brisanz bekam das Thema jüngst durch den Fund giftiger Abfälle im Landkreis Wittmund in Niedersachsen: Hier werden die Lager-Stätten landwirtschaftlich genutzt, unter anderem weiden Kühe auf schlammbelasteten Wiesen. Ob der Schlamm gesundheitsgefährlich ist oder das Trinkwasser belastet, ist nicht bekannt – eben das macht Patrick Breyer (Piraten) „sprachlos“. Er fordert, landwirtschaftlich genutzte Flächen vorsorglich stillzulegen, solange Gefahren durch giftigen Bohrschlamm nicht auszuschließen seien.
Der Agrarexperte der CDU-Landtagsfraktion, Heiner Rickers, hatte bereits im April eine Anfrage zum Giftschlamm auf dem Acker gestellt. Er bringt ins Spiel, den verunreinigten Boden abzutragen und zu deponieren. Das Ministerium sieht allerdings Probleme, die Mengen unterzubringen: „In einigen Landesteilen werden die Kapazitäten knapp.“
In den vergangenen zehn Jahren hat es landesweit nur wenigen Sanierungsmaßnahmen an alten Schlammgruben gegeben, allerdings wird in Einzelfällen geprüft und auch das Trinkwasser regelmäßig untersucht. Müsste entsorgt werden, lägen die Kosten bei den Betreibern der Bohrungen – falls es die Firmen nach so langer Zeit noch gibt. Ansonsten wäre die Allgemeinheit gefordert.
Im Zuge der Debatte wird nun auch lokal verstärkt nachgefragt, an welchen Stellen Altlasten lagern. Etwa im Kreis Dithmarschen, wo es fünf Standorte gibt. Die untere Naturschutzbehörde sieht für die Orte Delve und Fedderingen einen „Altlastenverdacht“ – der Bohrschlamm lagert auf den früher gemeindlichen Müllkippen. Darüber seien die Gemeinden bereits 2003 unterrichtet worden, erklärte ein Kreissprecher. Die heutigen Bürgermeisterinnen beider Orte allerdings sagten auf Anfrage der Dithmarscher Nachrichten, ihnen sei davon nichts bekannt. Immerhin: Im Grundwasser sind nach neuen Messungen keine Anzeichen auf giftige Rückstände zu finden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel