piwik no script img

Böses BlutIst die Stasibehörde noch nötig? Ja!

Kommentar von Wolfgang Thierse

Die CDU und die Linkspartei attackieren die Birthlerbehörde. Der Eindruck wird vermittelt, deren Ende sei gekommen. Der Umzug ihrer Akten in andere Archive, würde den Zugang zu ihnen erschweren.

A ttacken auf die Stasiunterlagenbehörde (BStU) und ihre Chefin Marianne Birthler sind üblich geworden. Von Seiten der Linkspartei ist das nicht verwunderlich, von Teilen der CDU dagegen schon - ein eigentümliches, ja peinliches Zusammenspiel! Die Kritik von aufarbeitungspolitischen und wissenschaftlichen Konkurrenten ist nicht wirklich überraschend. Alle zusammen erzeugen den Eindruck, dass das Ende der BStU gekommen sei.

Bild: ap

WOLFGANG THIERSE, 63, war DDR-Bürgerrechtler und in der frei gewählten Volkskammer. Von 1990 bis 1998 SPD-Vizechef im Bundestag, bis 2005 dort Präsident, seitdem Vizepräsident.

Die Diskussion um die Stasibehörde

Im Winter 1989/90 haben sich die DDR-Bürger in der Berliner Stasizentrale ihren Zugang zu den Akten des Überwachungsapparats erkämpft. Später entstand daraus die Stasiunterlagenbehörde. Doch dort häufen sich die Pannen. Soll die Behörde 17 Jahre nach der Wende aufgelöst werden?

Gewiss, die Behörde und ihre Leiterin mögen Fehler gemacht haben, die Anlass zu öffentlicher Aufregung waren: vor einigen Wochen die Tatsache, dass ehemalige Stasimitarbeiter bei der Behörde arbeiten; in diesen Tagen die falsche Bewertung eines Dokuments zum Schießbefehl. Das waren und sind Ärgerlichkeiten, aber rechtfertigen sie wirklich die Aufregungen, die Angriffe, die Forderungen nach einem baldigen oder "mittelfristigen" Ende der Behörde, wie sie auch der Kulturstaatsminister Neumann vorgetragen hat?

Der Öffentlichkeit, vor allem den Opfern die schriftliche Hinterlassenschaft des SED-Regimes, der Stasikrake zugänglich zu machen - das war ein besonders leidenschaftlich erkämpfter Erfolg der friedlichen Revolution von 1989/90. Die erste frei gewählte Volkskammer und der Deutsche Bundestag haben dieses revolutionäre, geschichtlich und weltweit wohl einmalige Ergebnis in ein Gesetz gegossen, eine eigene Institution dafür geschaffen. Sind deren Aufgaben inzwischen erledigt, kann dieses Kapitel abgeschlossen werden? Ich meine nicht.

Denn das waren und sind die Aufgaben der BStU: Aktenerschließung, Zugang zu den Akten der Stasi für die Opfer, die Betroffenen; Unterstützung der zeitgeschichtlichen Forschung; Aufarbeitung und Dokumentation der Funktionsweise der Stasi, der Strukturen und Verantwortlichkeiten der SED-Herrschaft; politische Bildung über dieses schwierige Kapitel deutscher Geschichte. So sind die Aufgaben im Gesetz beschrieben. Sind sie schon erledigt? Der Andrang zu den Akten, die Anzahl der Anträge auf Einsichtnahme sind ungebrochen hoch. Die Erforschung, Aufarbeitung und Dokumentation der Stasi- und SED-Herrschaft ist zwar nicht mehr am Anfang, aber noch lange nicht zu Ende. Und die politische Bildung zu diesem Thema liegt eher im Argen. Alles keine Argumente also für ein baldiges Ende und ein Zurückstutzen der BStU! Und was heißt übrigens "mittelfristig"?

Nein, diese Aufgaben sind nicht erledigt. Die Zugänglichkeit der Akten muss auch in Zukunft gesichert sein. Deshalb schlagen wir Sozialdemokraten vor, dass die BStU bis 2019 erhalten und entsprechend ihrem gesetzlichen Auftrag in vollem Umfang arbeits- und funktionsfähig bleibt.

Danach können die Ausnahmeregeln vom Bundesarchivgesetz auslaufen, die besonderen Zugangsrechte zu den Stasiakten haben dann ihre Notwendigkeit verloren. Eine vorherige, baldige Eingliederung ihrer Bestände in das Bundesarchiv beziehungsweise in Landesarchive würde mit Gewissheit zu Einschränkungen des Aktenzugangs führen, die wir nicht wollen sollten! In den zwölf Jahren bis dahin sollten wir die Zeit nutzen, um darüber zu diskutieren und Konzepte zu entwickeln, wie und in welcher institutionellen Form die Aufgaben der BStU danach weitergeführt werden können und sollen.

Bis dahin muss die Erschließung der bisher noch unbearbeiteten und die Rekonstruktion des vorvernichteten Aktenmaterials erfolgen. Bis dahin müssen Dokumentation und Ausstellung der Stasitätigkeit verbessert werden, deshalb sollte das Haus 1 der Normannenstraße in Berlin in der Trägerschaft der BStU zu einem Ausstellungs- und Bildungszentrum zur Tätigkeit des MfS entwickelt werden.

Die DDR-Vergangenheit ist noch nicht vergangen, das SED-Unrecht noch nicht vollends aufgearbeitet. Bei der BStU ist ein großer Schatz an Wissen und Erfahrung dafür versammelt, den wir auch weiter nutzen müssen. Eine Beerdigung zweiter Klasse hat die BStU, die Frucht der Herbstrevolution von 1989, nicht verdient!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • JN
    Jens Neumann

    Wolfgang Thierse war zu keiner Zeit, außer nach dem Rücktritt Erich Honeckers im Oktober 1989, ein Bürgerrechtler. Und da waren es dann viele im Osten.

     

    Ja, es ist wichtig, daß es eine Einrichtung gibt, die die Akten v e r a n t w o r t l i c h verwaltet. Viele Mitarbeiter der BStU versuchen sich sicher redlich daran. Mit dem Kampfgeschrei der Birthler, Knabe und Thierse ist eine solche Arbeit m.E.nicht zu leisten. Die Notwendigkeit einer tiefgreifenden Befassung mit der deutschen Geschichte in beiden Teilen des Landes ist zwingend notwendig. Die fragwürdige Symbolpolitik von Frau Birthler verhindert eine solche, weil sie ideologisch und nur ideologisch ausgerichtet ist. Da schließt sie nahtlos an "Politik" ihres Vorgängers im Amte an.

     

    Die Debatte um die Personalratsmitgliedschaft ehemaliger Stasi-Mitarbeiter vor einigen Monaten hat doch bewiesen, daß Frau Birthler für die Leitung einer solchen Behörde vollständig ungeeignet ist.

     

    Es geht also nicht um die Notwendigkeit einer Behörde, sondern darum, ob sie ihre Arbeit macht oder lediglich als termintreuer Lieferant von politisch ausschlachtbaren Meldungen dient.

     

    Für Letzteres hat Herr Thierse offenbar gesteigerten Bedarf mangels politischer Ideen.