: Börsengang gegen das Grundgesetz
Die geplante Privatisierung der Deutschen Bahn verzögert sich weiter. Gleich vier Ministerien lehnen das von Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee vorgeschlagene Gesetz ab und hegen verfassungsrechtliche Bedenken
Straßen- und Flugverkehr sind zu billig. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie im Auftrag der Allianz pro Schiene. Straßenverkehr verursacht in Deutschland jährlich 77 Milliarden Euro Folgekosten für die Gesamtgesellschaft. Sie entstehen vor allem durch Unfälle, Lärm, Luftverschmutzung und Klimakosten. Die Folgekosten des gesamtdeutschen Verkehrsaufkommens betragen 80,4 Milliarden Euro pro Jahr. Allianz-pro-Schiene-Geschäftsführer Dirk Flege kritisiert, dass diese Kosten nicht von den Verursachern, sondern von der Allgemeinheit getragen werden. Durch diese „verdeckten Subventionen entstehen Fehlanreize zugunsten des Straßen- und Flugverkehrs“, so Flege. Er wies darauf hin, dass Verkehr insgesamt, auch auf den Schienen, teurer werden müsse. SG
VON STEPHAN KOSCH
Es sieht schlecht aus für den Börsengang der Deutschen Bahn. Zumindest in der von Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) favorisierten Variante. Mittlerweile lehnen vier seiner Kabinettskollegen seinen Gesetzentwurf ab, der in weiten Teilen den Forderungen von Bahnchef Hartmut Mehdorn entgegenkommt. Auch im Bundestag dürfte Tiefensee scheitern. Damit wackelt der ganze Zeitplan für den Börsengang, der eigentlich Ende 2008 abgeschlossen sein sollte. In der Union wird deshalb bereits über Alternativen zur Privatisierung der DB AG nachgedacht.
Gestritten wird weiter um die Frage, wem die Infrastruktur der Bahn gehören soll – also Schienennetz, Leitungen, Bahnhöfe und die entsprechenden Grundstücke. Bahnchef Mehdorn will diese mit an die Börse nehmen, weil sie den Unternehmenswert deutlich erhöht. Seine Gegner verweisen darauf, dass die aus Steuermitteln finanzierte Infrastruktur in staatlicher Hand bleiben sollte, auch damit Wettbewerber der DB nicht behindert werden können. Tiefensees Gesetzentwurf sieht eine doppelte Eigentümerschaft vor: Juristisch gehört das Netz dem Staat, wirtschaftlich der Bahn, die die Infrastruktur für 15 Jahre bewirtschaften und in die Bilanz aufnehmen kann – inklusive milliardenschwerer Zuschüsse des Bundes.
Diese Konstruktion sorgt aber für „verfassungsrechtliche Bedenken“ in den Ministerien für Justiz, Wirtschaft, Verbraucherschutz (BMELV) und im Innenministerium (BMI). In einer internen Stellungnahme erklärt das Wirtschaftsministerium: „Die Zweifel des BMI und BMELV an der Verfassungsmäßigkeit des Entwurfs (…) werden geteilt.“
Laut Grundgesetz muss der Bund nämlich beim Schienenverkehr dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen Rechnung tragen. Das Verbraucherministerium bestätigte auf Anfrage der taz, dass nach seiner Einschätzung durch den Gesetzentwurf der Konflikt zwischen dem wirtschaftlichen Interesse der Bahn und dem Gemeinwohlanspruch nicht gelöst werde. Vielmehr befürchtet das Ministerium unter anderem eine Verschlechterung der Infrastruktur abseits der Hauptstrecken. Das Bundeswirtschaftsministerium kritisiert, dass der Bund die Kontrolle des Kernstücks der Eisenbahn der teilprivatisierten DB AG überlasse und ihr gleichzeitig bis zu 37,5 Milliarden Euro staatliche Subventionen garantiere – weitere Zuschüsse nicht ausgeschlossen.
Damit muss Tiefensee seinen Gesetzentwurf noch mal ändern. Denn auch im Parlament käme er nicht durch. „In der jetzigen Form nicht zustimmungsfähig“, sagte der CDU-Verkehrspolitiker Dirk Fischer der taz. Er fordert, dass das juristisch gesicherte Eigentum des Bundes keinen Risiken ausgesetzt werden darf. Das Argument Mehdorns, die Deutsche Bahn brauche einen schnellen Börsengang, um Geld für weitere Firmenübernahmen zu bekommen, lässt er nicht gelten. Für diesen Zweck könne man nur die profitable Logistik-Sparte mit den Speditionen Schenker und Bax Global an die Börse bringen. In dieselbe Richtung zielte gestern auch CSU-Verkehrspolitiker Andreas Scheuer. Ein solcher Minibörsengang brächte Bahn und Bund sechs bis acht Milliarden Euro und Zeit für die Überarbeitung des Gesetzes und seine Behandlung im Bundestag.
Auch die Grünen forderten einen Stopp der Privatisierung, bis alle verfassungs- und bilanzrechtlichen Fragen geklärt sind. Der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Uwe Beckmeyer, warnte hingegen vor parteipolitischen Spielchen und forderte mehr Tempo. Ein vom gesamten Kabinett getragener Gesetzentwurf müsse bis zur Sommerpause auf den Tisch.