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Boeing: Weihnachtsgeld statt Arbeitskampf

58.000 Beschäftigte beendeten sechswöchigen Streik / Umwandlung von Gratifikationen in feste Lohnerhöhungen nicht durchgesetzt  ■  Aus Washington Rolf Paasch

Wohl selten in der Geschichte der amerikanischen Arbeiterbewegung war die Ausgangssituation einer Belegschaft für einen erfolgreichen Streik so günstig wie die der 58.000 MaschinistInnen des US-Flugzeugbauers Boeing in Seattle. Doch trotz voller Auftragsbücher (mit 1.718 Fliegern im Wert von 80 Milliarden Dollar) konnten die Boeing-Arbeiter ihre Hauptforderung nach einer Lohnerhöhung von 18 Prozent über drei Jahre nicht durchsetzen.

Die Jumbo-Schlosser, die nach ihrem Votum für die Beendigung des Streiks am Mittwoch wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehrten, gaben sich nach 48 Streiktagen mit einer zehnprozentigen Lohnerhöhung plus einmaligen Prämienzahlungen zufrieden. Mit einem stattlichen Weihnachtszuschlag von 3.000 bis 7.000 Dollar hatte das prosperierende Flugzeugunternehmen seinen MaschinistInnen einfach den arbeitskämferischen Schneid abgekauft.

In dem zweiten Streik in der Geschichte der Boeing-Company, die in den 90er Jahren das größte Geschäft aller Zeiten vor sich hat, ging es allerdings um mehr als um bloße Lohnprozente. Mit Videofilmen und Trainingskursen hatte die Maschinistengewerkschaft ihren Mitgliedern zu erklären versucht, daß in diesem Arbeitskampf die über sechs Jahre hinweg gezahlten Gratifikationen endlich in feste Lohnerhöhungen umzuwandeln seien, die dann im Gegensatz zu den einmaligen Zuschlägen auch als Basis für Krankengeld, Urlaubsgeld und Rente angerechnet werden. Wie Boeing sind in den letzten Jahren zahlreiche amerikanische Firmen dazu übergegangen, statt fester Lohnerhöhungen nur Prämien zu zahlen, die im Krisenfall wieder rückgängig gemacht werden können.

Waren es 1984 noch 31 Prozent der sechs Millionen tarifvertraglich abgesicherten Gewerkschaftsmitglieder, die solche flexibilisierten Löhne bezogen, so sind es heute bereits 44 Prozent. Im nicht gewerkschaftlich organisierten Bereich der US-Wirtschaft ist die Flexibilisierung der Löhne bereits gang und gäbe. Das Boeing-Abkommen, so vermutet Al Baumann, Wirtschaftsexperte im US-Arbeitsministerium, wird diesen Trend noch verstärken. „Wenn irgendjemand diese Zulagen hätte abschaffen können“, so Baumann, „dann wären es die Boeing-Maschinisten gewesen.“

Der Boeing-Vorsitzende Fred Shronz hatte dagegen während des Streiks immer wieder die unternehmerischen Beweggründe für eine Beibehaltung des Prämiensystems beteuert. Nur so könnte der mit insgesamt 164.000 Beschäftigten größte Flugzeugproduzent der Welt in Zukunft Radikalkuren wie in den 70er Jahren vermeiden, als Boeing bei ausbleibenden Aufträgen zwei Drittel seiner damaligen Belegschaft entlassen hatte. Vor dem Anbruch solchen Zeiten werden allerdings in Seattle und den umliegenden Produktionsstätten jetzt wieder 34 Flugzeuge pro Monat aus den Fertigungshallen rollen und abheben.

Bereits im letzten Jahr, vor Beginn der jüngsten Auftragswelle, erwirtschaftete Boeing bei einem Umsatz von 33 Milliarden Dollar einen Profit von 1,2 Milliarden. Und auch die auf 2,5 Milliarden Dollar geschätzten Verluste durch den sechswöchigen Streik, so vermuten Industrieexperten, werden in der nächsten Jahresbilanz vor lauter schwarzen Zahlen nicht mehr wiederzuerkennen sein.

Daß sich die Beschäftigteen eines derzeit so lukrativen Industriezweiges jetzt mit einem faulen Kompromiß begnügen mußten, läßt in den übrigen Branchen für die kommenden Lohnrunden keinen allzu großen Optimismus aufkommen. So haben die TelefonarbeiterInnen kürzlich Abstriche bei ihren Lohnerhöhungen machen müssen, um wenigstens einen Beitrag der Arbeitgeber zu ihrer Krankenversicherung durchsetzen zu können. Und auch der bereits seit April andauernde Bergarbeiterstreik in Virginia gegen die einseitige Kündigung von Gesundheitsleistungen durch den Bergwerkkonzern Pittston ist bisher nicht von Erfolg gekrönt.

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