Böhmermann-Schmähgedicht: Dreiviertelsieger Erdoğan
Das Oberlandesgericht Hamburg hat bestätigt, dass das Anti-Erdoğan-Schmähgedicht zu weiten Teilen rechtswidrig ist.
Auch das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg hat dem Satiriker Jan Böhmermann untersagt, 18 von 24 Zeilen seines Gedichts „Schmähkritik“ zu wiederholen. Das Gericht bestätigte damit eine Entscheidung des Hamburger Landgerichts vom Februar 2017. Böhmermann will gegen das Urteil weitere Rechtsmittel einlegen, sagte sein Anwalt.
Jan Böhmermann hatte das Gedicht Ende März 2016 in seiner Sendung Neo Magazin Royale vorgetragen. Dort heißt es unter anderem, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan „Ziegen fickt“ und „Kinderpornos schaut“. Erdogan klagte auf Unterlassung, das Gedicht verletze seine Menschenwürde.
Es folgte das Drei-Viertel-Verbot durch das Landgericht, zunächst als einstweilige Anordnung, dann auch in der Hauptsache. Damit waren aber beide Seiten nicht zufrieden. Erdogan wollte ein Totalverbot erreichen, während Böhmermann die Untersagung gänzlich beseitigen wollte.
Doch nun bestätigte das OLG das erstinstanzliche Urteil in vollem Umfang. Das hatte sich schon in der mündlichen Verhandlung im Februar angedeutet als der Vorsitzende OLG-Richter Andreas Buske lobte, das zu prüfende Urteil sei „sorgfältig begründet“.
OLG prüfte Satz für Satz
Auch das OLG prüfte das Gedicht Satz für Satz. „Weder die Sendung insgesamt noch das Gedicht bildet ein einheitliches, untrennbares Werk, dessen Zulässigkeit nur insgesamt beurteilt werden könnte“, erklärte Buske.
Bei der Satz-für-Satz-Prüfung wurde dann jeweils das Persönlichkeitsrecht Erdogans mit der Meinungsfreiheit Böhmermanns abgewogen. Dabei wurde insbesondere die Verwendung „herabsetzender Bilder aus dem Intim- und Sexualbereich“ verboten.
Untersagt sind also weiterhin Zeilen wie: „Sein Gelöt stinkt schlimm nach Döner, selbst ein Schweinefurz riecht schöner.“ Die von Böhmermann vorangestellte Erklärung, er habe nur zeigen zu wollen, welche Arten rechtlich unzulässiger Äußerungen es gebe, könne derart schwere Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht Erdogans nicht rechtfertigen, so das OLG.
Erlaubt bleiben dagegen Zeilen wie „Kurden treten, Christen hauen“, hier gehe es um echte Kritik an Erdogans Politik. Ob das Gedicht von der Kunstfreiheit geschützt ist, ließ das OLG offen. Es hätte sich wohl kein anderes Urteil ergeben als bei der Prüfung an der Meinungsfreiheit.
Böhmermann will bis zum Bundesverfassungsgericht
Das OLG Hamburg ließ gegen sein Urteil keine Revision zu. Gegen die Nichtzulassung kann Böhmermann aber noch Rechtsmittel einlegen, die angesichts der grundsätzlichen Bedeutung des Falles auch durchaus Erfolg haben könnten.
Nächste Instanz wäre dann der Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Doch Böhmermanns Anwalt Christian Schertz hat klargemacht, dass sein Mandant auf jeden Fall auch das Bundesverfassungsgericht anrufen wird, wenn sein Gedicht nicht vollständig erlaubt wird.
Dort dürfte der vertrackte Fall auch gut aufgehoben sein. Denn was macht man mit einem, der die abscheulichsten Sachen sagt – angeblich nur um zu zeigen, was in Deutschland verboten ist? Einem Filou wie Böhmermann lässt man das vielleicht noch durchgehen, vor allem wenn es einen Politiker wie Erdogan trifft, der sich immer mehr zum Despoten entwickelt.
Doch die Justiz darf eben nicht nach Sympathie entscheiden. Sie muss Maßstäbe entwickeln, die auch dann brauchbare Ergebnisse liefern, wenn ein rechter Künstler Böhmermanns Methode auf den israelischen Staatschef anwenden würde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen