: Blutgewand mit Zukunft
■ Die verlängerte Europacupgeschichte WIR LASSEN LESEN
Seit Brüssel trägt der Europapokal ein blutiges Gewand. Er wird es kaum jemals ablegen können.“ Mit diesem Satz endete in der 1985 erschienenen Geschichte des Europapokals von Ludger Schulze das Kapitel über Das Massaker von Brüssel. Es war wahrhaftig kein gutes Jahr, um ein Resümee der europäischen Cupwettbewerbe herauszugeben. Die Vorfälle im Heysel-Stadion beim Spiel Liverpool -Juventus Turin hatten dem Europacup einen schweren Schlag versetzt, nicht wenige forderten seine vollständige Abschaffung, und über all den dramatischen Schilderungen großer Partien, den Anekdoten, witzigen oder dummen Bemerkungen von Spielern, Trainern, Funktionären schwebte der imaginäre Schatten der 39 Toten von Brüssel.
Doch: „The show must go on“, vor allem, wenn so viel Geld damit zu verdienen ist. Der Europapokal blieb bestehen, nur die Engländer wurden ausgeschlossen. Eine nicht unumstrittenen Maßnahme, von Wettbewerbsverzerrung und finanziellen Einbußen war die Rede, doch die Lektüre der jüngst erschienenen Neuauflage des Buches zeigt, daß der Schock von Brüssel zumindest im Europacup Wirkung gezeigt hat. Im neu hinzugekommenen Kapitel Die Jahre ohne die Engländer bestand kaum Notwendigkeit, über Gewalt im Stadion und drumherum zu berichten, im Vordergrund steht die sportliche Dimension.
Geprägt wurde der Europapokal der Landesmeister in den Jahren 1986 bis 1990 vorwiegend vom fulminanten Aufstieg des AC Mailand und vom verzweifelten Versuch der Bayern, eine absolutes europäisches Topteam zu werden.
Nicht ohne klammheimliche Schadenfreude dokumentiert der Autor genüßlich das stetige Scheitern der Großmachtsträume der Herren Lattek und Hoeneß und vor allem das bitterste Erwachen der Münchner, als im Finale von 1987 ein beiläufiger Hackentrick des Algeriers Rabah Madjer den sichergeglaubten Cup ins ferne Porto entschweben ließ. Es folgten die brisanten Duelle der Bayern mit Real Madrid und als letzter Stolperstein das Halbfinale 1990, als das übermächtige, vom Medienmogul Silvio Berlusconi zusammengeraffte Nationalspielerkonglomerat AC Mailand den Münchnern den Weg ins Finale verbaute.
Die Mailänder hatten ein Jahr zuvor in Barcelona beim 4:0 gegen Steaua Bukarest eines der besten Endspiele der Europapokalgeschichte auf den Rasen gezaubert, und es ist nur recht und billig, daß die beiden niederländischen Lederballästheten Ruud Gullit und Marco van Basten neben di Stefano, Eusebio, Bobby Charlton, Johan Cruyff und Franz Beckenbauer als Newcomer Aufnahme in die Galerie der Superstars des Europa-Cup fanden.
Viele unbekannte oder auch bekannte, aber vergessene Begebenheiten aus dem reichen Sagenschatz des europäischen Fußballs machen das Buch zu einer äußerst angenehmen Lektüre. Vom hysterischen Freudenausbruch Eusebios, der nach dem Finalsieg 1962 gegen Real Madrid überschnappte und mit Schaum vor dem Mund in die Kabine geschleppt werden mußte, über die biederen Kicker von Nottingham Forest, die so spielten, „wie Robin Hood klaute“, bis zum hinterlistigen Manni Burgsmüller, der 1988 vor dem Spiel gegen Dynamo Berlin an die Gästetür bummerte, „kommt raus, ihr Feiglinge“ brüllte, und die verlängerten Füße Erich Mielkes so einschüchterte, daß sie 0:5 verloren, ist alles vorhanden, was den Fußball so liebenswert und entsetzlich macht.
Und auch das Fazit fällt fünf Jahre nach Heysel ein wenig freundlicher aus: „Fraglos behält der Europacup auch weiterhin seine Faszination. Man darf sogar mit einigem Recht erwarten, daß dieser Wettbewerb an Spannung, Attraktivität und sportlichem Wert noch gewinnt im ausgehenden 20. Jahrhundert.“ Matti
Ludger Schulze: Die Geschichte des Europapokals, Copress Verlag, München 1990, 184 Seiten, 38 DM, ISBN 3-7679-0312-1.
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