Blut an der Wiege

Programmpräsentation bei RTL: eines der letzten Abenteuer der Menschheit / Für uns auf dem Kranwagen  ■ Reinhard Lüke

Das waren noch Zeiten, als man von Programmpressekonferenzen bei RTL nicht nur viele bunte Bilderchen und ein üppiges Buffet, sondern auch noch den ein oder anderen hämischen Kalauer von Boß Helmut Thoma über die Konkurrenz erwarten durfte. Und anschließend konnte man sogar noch richtig Fragen stellen. Lang ist's her. Wer sich am Mittwoch in Köln über das künfige RTL-Programm informieren wollte, fand sich unversehens auf einer grotesken Veranstaltung wieder, die mit viel Aufwand zum „Event“ aufgemotzt war, aber doch eher an einen Kindergeburtstag erinnerte, bei dem Geld keine Rolle spielt.

Flair grenzenloser Saturiertheit

Da hatte man eigens zwei riesige Kräne herbeigeschafft, die vor dem Eingang ein überdimensioniertes Transparent hochhielten, auf dem den Besuchern ein herziges „Willkommen zur RTL-Programmpressekonferenz“ entgegenflatterte. Drinnen trötete die Hauskapelle der „Nacht-Show“. Dann Licht aus, Spot an: Frank Elstner trat an ein gläsernes Pult, gluckste Co-Moderatorin Esther Schweins was Nettes zu, und die sagte dann zum ersten Mal, was sie in den nächsten 90 Minuten vorwiegend sagte: „Ich freu' mich ...“

Und schon setzte sich die Drehbühne in Bewegung und schaufelte des Senders Führungstrio in den Saal. Helmut Thoma hielt eine müde Ansprache, die in erster Linie das Flair grenzenloser Saturiertheit verströmte und kaum mehr mitteilte als: Wir sind eh die Marktführer, und wir werden's auch bleiben. Danach erklärte Unterhaltungschef Marc Conrad, was es bei RTL demnächst zu lachen gibt.

Und dann wäre eigentlich Info- Chef Hans Mahr mit seiner Rede dran gewesen. Der saß zwar auch am Tisch, wurde aber mit den beiden anderen erst mal wieder weggeschaufelt. Daß er kaum was zu sagen hatte, wurde erst deutlich, als er später – wieder reingeschaufelt – doch noch was sagte. Denn die immer wieder groß angekündigte „Informationsoffensive“ bei RTL findet auch in diesem Herbst nicht statt. Es sei denn, man versteht darunter, daß Hans Meiser jetzt noch öfter auf den Schirm darf oder daß die Nachrichten mehr Wetter bekommen. Das obligatorische Witzchen in Sachen Leo Kirch durfte dann Reise-Onkel Rudi Carrell anbringen. Und das ging so: Elstner: „Wie finden Sie die deutsche Medienlandschaft?“ Carrell: „Ein bißchen zu bayrisch.“ Elstner, totales Erstaunen simulierend: „Wieso bayrisch?“ Carrell: „Zu viele Kirchtürme.“ Superlustig! Aber nicht alle RTL-Stars und -Sternchen, die da unablässig in den Saal gedreht wurden, mußten soviel Text aufsagen. Die meisten wurden nur mit der Frage konfrontiert, wie man sich denn bei RTL so fühle und wann denn die jeweilige Serie oder Show anlaufe. Alle fühlten sich prima, was Frau Schweins freute. Nur Fußball-Talker Marcel Reif, Neuzugang vom ZDF, schien sich irgendwie im falschen Film zu fühlen und machte reichlich gequälte Miene zum albernen Spiel. Aber das wird schon werden. Nächstes Jahr wird er's draufhaben, das mit dem „Ich freu' mich.“

Der Amokläufer von Euskirchen

Aber worauf darf sich nun der so heftigst umworbene RTL-Zuschauer freuen? Auf Show-Kanonaden am Samstag, frisch produzierte Serien bis zum Abwinken (Auch Otto hat eine), neue Daily- Soaps, Shows zum Raten, Lachen oder nur zum Heulen (Frank Elstner darf sich gleich in deren drei nochmal versuchen, darunter „Flieg mit AIR-T-L“, das aus einem umgebauten Airbus moderiert werden soll). Ansonsten gibt's hochkarätige Kinohits, die aus dem neuen Deal mit Disney-Productions stammen, und Henry Maske läßt sich die Nase künftig exklusiv für RTL polieren usw. usf. Und nicht zu vergessen: die neuen TV-Romane mit so schönen Titeln wie „Tag der Abrechnung – Der Amokläufer von Euskirchen“, „Blut an der Wiege“ oder „Das Baby der schwangeren Toten“.

Für alle, die am Mittwoch tapfer durchgehalten hatten, war zum Schluß noch Bescherung. Strahlende Hostessen offerierten hier ein Hemdchen, dort ein Mützchen – oder: „Möchten Sie die neue CD von ,Gute Zeiten, schlechte Zeiten‘?“ Ach nein.

Aber haben Sie vielleicht Maskes Nase in Schokolade da? Nicht? Na ja, vielleicht im nächsten Jahr. Dann wird Thoma wieder sagen: „Wir sind eh die Marktführer“, beliebte Künstler werden sich wieder „ganz prima“ fühlen, und irgendwen wird das sicher total freuen. Reinhard Lüke