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Bluesmusiker in PolenAuf der Suche nach dem verlorenen Ton

In seiner Jugend stand Kazimierz Iwanowicz auf großen Bühnen und spielte Bass. Dann kam Iwanowicz die Musik abhanden. Die Melancholie blieb.

Er sei ziemlich seltsam, sagen die Leute: Kazimierz Iwanowicz. Bild: privat

SUWALKI taz | Wer den Blues finden will, muss in einen kleinen polnischen Ort im Nirgendwo fahren, um dort einen alten, verrückten Mann zu treffen, der früher mal ein genialer Bluesmusiker war. Dieser Plan stammt von Janosch, er hat ihn in einem Buch aufgeschrieben, und das Vorgehen schien mir einleuchtend.

Der Mann, den ich finden will, heißt Kazimierz Iwanowicz. Seine Band gibt es schon seit Mitte der Achtziger nicht mehr, aber das waren die golden Zeiten des polnischen Blues, und es heißt, er und seine Freunde waren auf dem Weg, eine der bekanntesten Gruppen des Landes zu werden. Wie die, mit denen Iwanowicz damals gemeinsam auftrat und die heute mit Eric Clapton spielen, wenn er mal vorbeikommt. Der Alkohol sei dazwischengekommen, sagen die Leute. Kazimierz Iwanowicz sei überhaupt ziemlich seltsam.

Der Fahrplan dieser Suche ist ein Buch, das "Polski Blues" heißt. Der Schriftsteller und Zeichner Janosch hat es 1991 geschrieben: Ein Regisseur reist in das polnische Nest Kuznice, um einen Trompeter zu suchen, den er als Jugendlicher tief bewunderte. Er findet ihn an der Welt verzweifelt in einem Dorf voller Säufer, wo er mit einem alten Motorrad über Felder brettert.

Das Buch schwankt zwischen Wehmut und unbändiger Lust am Leben, genauso wie Polen und genauso wie diese Musik, die ich finden will.

Die Telefonnummer von Kazimierz Iwanowicz findet sich im Internet, neun Ziffern sind es. Mit etwas Wagemut kann man behaupten, dass dieser Mann verantwortlich ist für das Suwalki Blues Festival. Für die 10.000 Besucher pro Tag, die 200 Musiker, die einmal im Jahr auf die Plätze und in die Kneipen seiner Heimatstadt an der polnisch-litauischen Grenze kommen. Im Jahr 1980 gründet Kazimierz Inwanowicz hier im örtlichen Kulturhaus eine Band, die es innerhalb von einem halben Jahr auf landesweite Festivals und in Magazine schaffte, um sich nur wenige Jahre später wieder aufzulösen: die Browar Blues Band.

Bild: taz

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Als wir das erste Mal telefonieren, lege ich irgendwann den Hörer auf und weiß nicht, ob seine letzten Worte eine Abschiedsformel waren. Ich verstehe nur, dass er mich nicht versteht, dass er mein Anliegen seltsam findet, "dziwny" heißt das auf Polnisch. Er spuckt die Laute aus. Ich werde unsicher.

Er lässt mich warten

In der Mail, die er in der darauf folgenden Nacht schreibt, redet er mich sehr höflich an, dankt mir für mein Interesse. So geht das eine Weile: Am Tag rufe ich ihn an, versuche ihn zu einem Treffen zu bewegen. Wir reden aneinander vorbei, er zweifelt. Nachts, manchmal um zwei, manchmal um vier, schreibt er lange, poetische E-Mails. Ja, theoretisch könnten wir zusammen zu einem Konzert gehen, aber er bezweifle, dass das, was dort gespielt werde, Blues sei. Er lässt mich warten.

Es ist wie in "Polski Blues" - klar, diese Suche kann kein Strandspaziergang sein. Der Regisseur, der in Janoschs Buch den Trompeter finden will, wird unruhig, elektrisiert, als er hört, dass er nur ein paar Häuser weiter wohnt. Aber natürlich kann man ihn nicht so einfach besuchen, er ist schließlich kein einfacher Mensch. Deshalb schaut der Regisseur sich im Dorf um.

Beim Eröffnungskonzert des Suwalki Blues Festivals geht Magda Piskorczyk aus Warschau als Erste auf die Bühne. Sie trägt ein weißes Kleid und wirft ihre Locken von links nach rechts. Magda Piskorczyks Stimme ist tief und rau, sie schließt die Augen beim Singen, reißt sie wieder auf, dirigiert das klatschende Publikum mit ihrem Knie. Barmusik von alten Männern, die sich schmutzig, einsam und betrunken geben, interessiert sie nicht.

Magda Piskorczyk verkörpert den neuen polnischen Blues. Es sind Musiker der Generation MySpace, die freier mit den Wurzeln der Musik umgehen, sich bedienen, wo sie Inspiration finden, Grenzen missachten.

Kazimierz Iwanowicz ist Magda Piskorczyks Musik fremd. Vielleicht wenn er sie nachts sehen würde, bei der Jamsession in einer Bar, wie sie den Whiskey vom Tisch des Bürgermeisters mitnimmt und auf die Bühne geht. Wenn er zuschauen würde, wie sich der Bassist von der Seite an sie heranpirscht, einen Rhythmus vorgibt, sie anschaut und mit dem Beben seines ganzen Körpers die Töne aus ihr herauslockt. Vielleicht würde er dann glauben können, dass auch die nächste Generation noch den Blues verstehen kann. Dass die Musik dafür nicht notwendigerweise so bleiben muss, wie sie mal war. Aber an solche Orte kommt Kazimierz Iwanowicz nicht mehr.

Er zaudert lieber. Ich schlage ihm am Telefon eine Uhrzeit für ein Treffen vor und einen Ort - die Treppe vor dem Jugendklub, in dem er früher geprobt hat. Und dieses Mal kommt er.

Kazimierz Iwanowicz trägt eine beigefarbenen Kordanzug. Er ist 51 Jahre alt und arbeitet bei einer Versicherung. Er hat drei Kinder allein großgezogen und besitzt 25 Gitarren. Seit Kurzem spielt er wieder, aber nur für sich selbst, sagt er. Wir laufen durch die Altstadt der Musik entgegen.

Auf der Bühne singt eine alte Bekannte von Iwanowicz. Früher sind sie gemeinsam auf Festivals aufgetreten. "Damals haben wir gespielt, um zu spielen", sagt Iwanowicz. "Und heute?" Er schüttelt den Kopf. "Gage gibt es, sonst käme keiner."

Iwanowicz erinnert seine Jugend so intensiv, dass kein Gefühl der Gegenwart es schafft, dagegen anzukommen. Im Jahr 1976 kam Muddy Waters nach Polen, der große Bluesmusiker. Er spielte im Kongresssaal des klobigen Kulturpalastes in Warschau. Kazimierz Iwanowicz war da noch Schüler. "Wenn hier auf diesem Festival jetzt die Raumfähre ,Columbia' landen würde, könnte das auf mich keinen größeren Eindruck machen als dieses Konzert damals", sagt er. Er zündet sich eine Zigarette an. Mocno heißt seine Lieblingsmarke, Mocno bedeutet stark.

Im Winter 1980 stellten Iwanowicz, sein Bruder und ein Freund fest, dass sie die gleichen Lieder hörten, die gleichen Musiker imitierten - und gründeten eine Band: "Klassischer Chicago-Blues, immer zwölf Takte. Blues ist sehr einfache Musik", sagt er.

Als Vater des polnischen Blues gilt Tadeusz Nalepa, 1971 veröffentlichte er das Album "Blues". Er sang nach Texten eines polnischen Dichters. Die Musik wurde so poetischer, sie wuchs an der polnischen Leidenschaft, Geschichten zu erzählen, sich der Melancholie hinzugeben. So politisch wie in Ostdeutschland war die Bluesszene in Polen nicht, aber sie sei ein Ventil gewesen, sagt Iwanowicz.

Er will weg von hier

Zweimal spielten die Browar Blues Band bei einem Festival, das übersetzt "Gesamtpolnische Schau der Musik der jungen Generation" hieß. Es war das wichtigste Rocktreffen des Ostens, auch aus den umliegenden Ländern reisten Jugendliche an. Es war 1981, die Zeit der ersten Solidarnosc-Streiks, wenige Monate später wurde in Polen das Kriegsrecht ausgerufen. Alle Texte mussten die Musiker vorher bei der Zensurbehörde einreichen. Aber viele Bands, die auf diesem Festival debütierten, wurden später Stars.

Die Browar Blues Band schrappte am Aufstieg vorbei. Browar heißt Brauerei, sie nannten sich so, weil sie alle gern Bier tranken. Irgendwann nahm der Name überhand, sie spielten verkatert. Es gab Streit. Iwanowicz heiratete, wurde Vater, verließ die Band. Bald darauf, 1987, löste sich die Gruppe auf.

Kazimierz Iwanowicz zündet sich noch eine Mocno an. Er will weg von hier. Weg von den Bierbänken, von der Bühne, weg von dieser Musik.

Zu Hause sagt er: "So, und jetzt nenn mich Kazik." Kazik, so heiße er, Kurzform. Er öffnet ein Bier für sich, eins für mich. Die Dose ist kühl, durch das Dachfenster weht ein Abendhauch herein. Morgen reise ich ab.

In dem Buch von Janosch trifft der Regisseur den Trompeter in seinem Haus, am Abend bevor er das Dorf wieder verlässt. Ein Feuer brennt im Ofen, es gibt guten Wein, und der Musiker ist fröhlich, als hätte er nie getobt. Von irgendwoher legt sich eine Glückseligkeit auf die Runde. Der Trompeter nimmt sein Instrument vom Regal.

Blues. "Das alles ist eine Lebenseinstellung, das fühlst du", sagt Kazik. Er werde eine Platte machen, nächstes Jahr. Er nimmt meine Hand, verspricht es.

Und dann spielt er. Er zieht die Gitarre auf den Schoß, atmet ein. Die ersten Takte kommen zögerlich, er kann sich nicht einlassen, sich nicht selbst genügen, schaut immer wieder auf, bricht ab. Aber dann zupft er einen einfachen Akkord und singt ein Lied von früher. "Schon das zweite Jahr arbeite ich nicht, schon das zweite Jahr schlage ich mich durch." Es ist nur ein kurzer Moment, in dem sich seine Gesichtszüge entspannen, bevor seine Finger einen Fehler machen, er zögert und alles wieder kaputt ist, aber dieser kurze Moment ist ein Versprechen von Erlösung.

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