piwik no script img

Blues modern

■ Eher jüngere Leute saßen bei Joe Lovanos „Universal Language“ im A-Trane

Sorry, aber das kann doch nun wirklich nicht die Essenz des Busineß namens Jazz sein. Oder was davon übrigbleibt, wenn nichts mehr läuft. Wer sich am Donnerstag abend im Jazzclub A-Trane darüber informieren wollte, was das New Yorker Universal Language-Six-Pack des Saxophonisten Joe Lovano unter moderner Jazz- Ensemble-Improvisation versteht, sah sich zunächst mal mit einer Neuerung der radikal überzogenen Art konfrontiert. Die Zwei- Klassen-Politik im A-Trane – wer schon nicht studiert, muß wenigstens mehr blechen – war zwar nicht vollends außer Kraft gesetzt, aber aus den Fugen geraten. Die sonst übliche 20-zu-15-Mark-Quote hatte man im Vorverkauf kurzerhand bei 50-zu-40 angesetzt, für die Sonderklasse „Sitzplatzanspruch“ versprach man sich noch mal 10 Mark extra. Damit wolle man auf die ausufernde Konkurrenz reagieren, mit der sich die Berliner Jazzveranstalter seit geraumer Zeit ihr Publikum gegenseitig ausladen, wußte das Management die revolutionäre Preispolitik etwas allzu nüchtern zu kommentieren.

Nüchtern hatte man im Vorfeld dann allerdings auch registriert, daß aus dem Big Deal wohl wieder mal nichts werden würde, und die Abendkassenquote generös auf 40-zu-35 gesenkt. Daß dennoch nicht alle Designerstühle besetzt wurden und die Tischchen davor auffallend bescheiden gedeckt blieben, hinderte die emsige Ganz- in-Weiß-Bedienung um so weniger daran, die überteuerten Drinks sofort zu kassieren – wenn die Scheine nicht fliegen, muß halt das Kleingeld stimmen. Damit wäre der Sound, der an diesem Abend aus dem Plenum kam, fast schon beschrieben. Natürlich war auch gelegentlich ein Geklapper zu vernehmen, das entsteht, wenn 100 Hände sich bestimmt, aber verhalten reiben, so rechte Stimmung wollte jedoch nicht aufkommen.

Um so lauter schrillte es hingegen von der Bühne herab. Modern Jazz der Profiliga, new-yorkisch hart und gewöhnungsbedürftig allemal – vor allem wenn Judi Silvanos textlose Sopran-Stimme den Satz mit Tim Hagans Trompete und Joe Lovanos Tenorsaxophon schrägt. Die Titel der „Universal Language“-CD (Blue Note), allesamt Kompositionen des Bandleaders, waren wiedererkennbar zwar, jedoch hier zu Kollektivimprovisationen von je 15 Minuten Dauer aufgebläht, die sich durchaus mit Kommunikationen vergleichen lassen, wie man sie aus dem Alltag kennt – mal spannend, mal einfach zu lang eben.

Aber das bleibt dann doch alles mehr subjektiv: Wer schon immer mal wissen wollte, welche Atmosphäre ein Tonstudio hat, wer auf holzgetäfelten Sound steht, sich in einem klimatisierten Aquarium wohlfühlt und das alles ein exklusives Erlebnis nennen kann, der mag an diesem Abend in Fragen milieuästhetischer Selbstfindung einen ganz großen Schritt vorangekommen sein. Christian Broecking

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen