: Blüm plant Aprilscherz
■ Kleiner Mann, was nun? Nach dem Scheitern des Spitzengesprächs über die Pflegeversicherung peilt er jetzt den 1. April als neuen Starttermin an
Bonn (taz) – Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, sagt Arbeitsminister Norbert Blüm, nachdem Regierung und Opposition gestern auch in einem Spitzengespräch nicht über die Zukunft der Pflegeversicherung einig wurden. Die Regierungsparteien setzten zwar daraufhin am Nachmittag mit ihrer Stimmenmehrheit im Vermittlungsausschuß zwischen Bundestag und Bundesrat ihr Modell durch, doch dies bedeutet wenig: Für das Inkrafttreten des Pflegegesetzes sind sie auf die SPD-Mehrheit im Bundesrat weiter angewiesen. Der notorisch optimistische Arbeitsminister rückte dennoch die Pflegeversicherung rhetorisch in greifbare Nähe: Nunmehr zum 1.4.1994 könne die erste, die ambulante Stufe der Pflege, zum 1.1.1997 die zweite, für die Pflege in Heimen eingeführt werden. Norbert Blüm, dem (wieder einmal falsche) Rücktrittsabsichten für den Fall des Scheiterns nachgesagt worden waren: „So nah am Ziel waren wir noch nie.“ Tatsache ist freilich, daß die offene Finanzierungsfrage das ganze Vorhaben in Frage stellt. SPD-Chef Rudolf Scharping hatte nach der Spitzenrunde im Kanzleramt am Vormittag erklärt, die Koalition beharre darauf, daß die „Arbeitgeber eine zusätzliche Entlastung bekommen sollen“ und halte an der „Vorstellung der Überkompensation fest“.
Eine halbe Stunde später bestätigten die Spitzenleute der Regierungsbank mit säuerlichen Mienen, daß die Finanzierung der Pflegeversicherung der Stolperstein war.
Die Koalition hatte sich zwar bewegt, nachdem die SPD sich mit dem Vorschlag zur Streichung eines Feiertags grundsätzlich zur Kompensation der Arbeitgeberkosten bereit erklärt hatte. Nach dem neuen Vorschlag der Koalition soll statt des bisher vorgesehenen 20prozentigen Lohnabschlags an zehn Feiertagen im Jahr (wahlweise: zwei Tage Urlaubsverzicht) nun so kompensiert werden: In der ersten Stufe der Pflegeversicherung 10 Prozent Feiertagsabschlag oder ein Urlaubstag oder ein Feiertag weniger. In der zweiten Stufe ab 1997 soll dann die 20-Prozent- beziehungsweise Zwei-Tage-Regelung gelten. Blüm, aus dessen Ministerium die Zahlen stammen, mit denen die SPD vorgerechnet hat, daß bereits ein gestrichener Feiertag die Arbeitgeberkosten ausgleicht, mochte gestern „mathematische Rechnereien“ gar nicht.
Nach der knappen Mehrheitsentscheidung des Vermittlungsausschusses wird, so die Vorstellung der Regierungsparteien, heute der Bundestag dessen Beschluß bestätigen. Dann müssen die beiden Gesetze unterschiedliche parlamentarische Hürden nehmen. Das eigentliche Gesetz zur Pflegeversicherung, über das mit der SPD weitgehend Einigkeit besteht, braucht weiter die Zustimmung des SPD- dominierten Bundesrats. Gegen das „Entgeltfortzahlungsgesetz“, das die Kompensation für die Arbeitgeber regelt, kann der Bundesrat jedoch nur einen Einspruch einlegen, der vom Bundestag überstimmt werden kann. Die SPD muß also auch gegen das von ihr befürwortete Pflegegesetz stimmen, wenn sie eine andere Finanzierung erzwingen will – für die Regierung eine Hoffnung, den Schwarzen Peter für das Scheitern loszuwerden. Kommentar Seite 10
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