Sol y Sombra: Bloß keine Eintagsfliege
■ Anja Rücker überrascht sich selbst, und Priscilla Mamba gewinnt viele Fans
„Lass dich einfach nicht einholen.“ Es war ein ziemlich guter Ratschlag, den Diskuswerfer Lars Riedel der 400-Meter-Läuferin Anja Rücker erteilte, als sie darüber klagte, dass man ihr für das Finale ausgerechnet die Außenbahn zugeteilt hatte. Jene Spur, auf bei der man vor allen anderen startet und bis zur Zielgeraden nicht weiß, was sich tut im Rennen. Ihr Ziel, die Endlaufteilnahme, hatte die Justizangestellte aus Jena aber schon erreicht, und so ging sie die Sache gelassen an. „Bloß nicht Achte werden“, war alles, was sie sich wünschte.
Am Ende hatte sie Riedels Maßgabe fast perfekt umgesetzt. Nur Titelverteidigerin Cathy Freeman konnte sie einholen, und das auch nur ganz knapp. „Ich wusste, dass mir rechts jemand ziemlich nahe kommt“, sagte die Australierin später, „aber ich hatte keine Ahnung, wer. Ich dachte, es wäre Breuer, drum bin ich schon etwas überrascht.“ Überrascht war auch Rücker, zum einen, dass sie eingangs der Zielgeraden immer noch niemanden neben sich erblickte, zum anderen, dass Grit Breuer nur Siebte wurde. Diese zu schlagen sei immer ihr Traum gewesen, „aber dass es so schnell gehen würde, hätte ich nicht gedacht.“ Zwar war die 26-Jährige schon von 1992 bis 1994, als Breuer ihre Dopingsperre absaß, die führende Viertelmeilerin in Deutschland gewesen, danach jedoch der zehn Monate älteren Konkurrentin stets hinterhergelaufen. „Das war eine Umstellung“, erinnert sie sich.
In Sevilla hat Anja Rücker ihre persönliche Bestzeit um fast eine Sekunde auf 49,74 Sek. verbessert, was sie vor allem auf technische Umstellungen zurückführt. Nach ihrem Wechsel in die Laufgruppe von Karin Balzer, Hürden-Olympiasiegerin von 1964, seien „Inhalt und Qualität“ des Trainings besser geworden. Nun komme es darauf an zu beweisen, „dass man keine Eintagsfliege ist“. Mit dem Ziel Finalteilnahme ist es bei Olympia in Sydney als Vizeweltmeisterin jedenfalls nicht mehr getan. Oder, wie es Freeman ausdrückte: „Es ist schwer in dieser Welt der Leichtathletik, dieselbe Person zu sein, die du vorher warst.“ Um dann selbstkritisch hinzuzufügen: „Zu poetisch.“
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Michael Johnsons Weltrekord wurde bejubelt im Stadion von Sevilla, frenetisch gefeiert wurde der Satz, mit dem sich der Spanier Yago Lamela für das heutige Finale qualifizierte. Die wahre Heldin des Abends war jedoch eine andere: Priscilla Mamba aus Swaziland. Alle 10.000-Meter-Läuferinnen waren bereits angekommen, da überquerte auch sie unter riesigem Jubel die Ziellinie – und lief weiter. Eine Runde später erneut tosender Beifall – Priscilla Mamba rannte unbeirrt weiter. Wieder eine Runde später geriet der Applaus schon vorsichtiger – und weiter ging es. Inzwischen waren alle Augen auf die Läuferin gerichtet, ermunterndes Klatschen sollte sie am Aufgeben hindern. Doch Mamba dachte gar nicht daran, lief noch eine Runde und war schließlich – mehr als acht Minuten nach der Siegerin und fünf Minuten nach der Vorletzten im Ziel, wo Anne Marie Letko-Lauck aus den USA extra gewartet hatte, um sie zu beglückwünschen. Das war Priscilla Mamba jedoch ebenso peinlich wie der Beifall des Publikums. Nicht mal ein Winken hatte sie für ihre neuen Fans übrig, bevor sie in die Katakomben entschwand. Matti
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