: Blindes Reden am großen Puzzle
■ Fünf „konsequenzlose“ Akte: Manu Bruynseraedes theatralische Versteckspiele „The Two Blindmen“
Manu Bruynseraede ist geduldig. Immer wieder von vorn läßt er den Pianisten sich die Finger mit dem zufallenden Klavierdeckel quetschen, um den richtigen Schmerzton zum Klingen zu bringen. Von draußen brummt durch das halbgeöffnete Fenster leise der Kompressor eines Staubsaugers, mit dem ein Kampnagel-Techniker seinen VW-Jetta reinigt. Nach fünf verschiedenen „Aua“-Tönen sagt Manu Bruynseraede freundlich zu dem Pianisten: „Sag einfach Shit.“ Und tatsächlich, das mühsame Simulieren hat ein Ende: der Pianist läßt erneut den Klavierdeckel knapp neben seine Finger fallen, sagt laut und deutlich „Shit“ - und schon glaubt man ihm seine schwere Pein.
Drei Figuren in schwarzen Jacken, schwarzbebrillt als seien die Blues Brothers wieder auferstanden, gruppieren sich im Raum. Zwei tragen Krawatten und sprechen pausenlos über sich, den Krieg, das Theater und das Blindsein. Der Dritte unterbricht sie gelegentlich mit seinen Klavierattacken. Wenn der rote Krawattenträger dem grünen Krawattenträger erzählt: „I met this girl you know. She is very beautiful. She danced for me. Boy, she can dance. She dances like hell“, erscheint ein Mädchen auf der Bühne und tanzt wie im siebten Himmel.
Als sich die Figuren wieder einmal in einen aussichtslosen Dialog verstrickt haben, taucht ein dunkelgelockter, sympathischer junger Mann in einer Filmprojektion auf und spricht den Figuren aufmunternde Worte zu. Dieser junge Mann ist Manu Bruynseraede, der Autor und Regisseur von The Two Blindmen.
Manu Bruynseraede ist ein 25-jähriger Belgier, der seit einiger Zeit in Hamburg lebt, in einer Bleifabrik, und bei Jan Fabre als Techniker gearbeitet hat. Vor ein paar Jahren ist er mit der Avantgarde-Gruppe Bulderdrang in Antwerpen durch die Kneipen gezogen, um literarische Happenings zu veranstalten. Die Lieblingskostümierung der „Bulderdranger“ waren „Die Brüder Karamasov“, wegen der großen langen Rauschebärte, die sie sich dann umgeschnallt hatten.
Über diese seine, wie er sagt, „wilden Jahre“ schreibt Manu Bruynseraede gerade seinen er- sten Roman. The Two Blindmen ist nicht das erste Theaterstück, das er geschrieben hat, aber das erste, das er inszeniert. Mit stoischer Ruhe gibt er seinen Schauspielern Anweisungen, die Proben laufen exakt ab wie ein Uhrwerk. Daß er als Regisseur seinen eigenen Text durch die Probenarbeit verändern, verbessern, weitertreiben könnte, interessiert ihn nicht.
„Jedes Wort ist genau komponiert und steht da, wo es nur stehen kann. Es ist wie ein großes Puzzle“, sagt Manu Bruynseraede und lächelt. Als die Figur mit der roten Krawatte vom Stuhl steigt, um die Bühne zu verlassen und wieder, wie sie erzählt, „in den Krieg zu ziehen“, kommt ihr Manu Bruynseraede freundlich zu Hilfe. Vorsichtig faßt er die Schauspielerin um die Schultern und führt sie langsam zur Tür. Was die schwarzen Brillen bis dahin verborgen haben: sie ist tatsächlich blind, während ihr Schauspiel-Kollege eine blinde Figur gespielt hat.
Einfach und mehrdeutig zugleich sind die Versteckspiele, die Manu Bruynseraede betreibt. Mit feinsinnigem Humor schlägt er jeder tieferen Sinnsuche elegant einen Haken. Auf die Frage, ob er Beckett möge, wird er zum erstenmal richtig ernst. „Nein, Beckett ist zu ernst, zu anstrengend mit Absicht. Man soll das Publikum verwöhnen, nicht nerven.“
Aber von Beckett gäbe es doch auch ein Theaterstück mit einem Blinden auf einem Stuhl. Der junge Belgier schaut entsetzt: „Oh, wenn ich das gewußt hätte“ Er geht zum Cassettenrecorder und spult die Cassette zurück. Eine männliche, volltönende Stimme erklingt: „The writer on the other hand is so often pale, awkward, incompetent in everything except the business of putting words together.“
Manu Bruynseraede lächelt wieder und schaut aus dem Fenster. „Das ist die Orginalstimme von Henry Miller.“ Das Kompressorgeräusch ist verstummt, der VW-Jetta gründlich gereinigt. „Putting words together. Vielleicht ist das wirklich alles, was man zu tun hat.“
ak
Manu Bruynseraede: The Two Blindmen. A theatre piece in five acts, without consequences. In englischer Sprache. Eine Produktion von Kampnagel Hamburg. Circa 60 min. 28. und 29. April, 20 Uhr, K 4.
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