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Archiv-Artikel

Blick ohne Opfer

Aus der Binnenwelt der Beurres und Sans Papiers: In seinem unsentimentalen Debütfilm „Wesh, Wesh, qu'est-ce qui se passe?“ lässt Rabah Ameur-Zaïmeche Freunde und Familie mitspielen

von CLAUDIA LENSSEN

Geschorener Kopf, trotzige Augen, galliger Zug um den Mund – der Regisseur Rabah Ameur-Zaïmeche spielt die Hauptrolle und stellt sich in Nahaufnahmen seines Gesichts immer wieder als beredte Metapher auf die Wut und Frustration dar, von denen „Wesh, Wesh, qu'est-ce qui se passe?“ („Wesh, Wesh, was geht hier ab?“) erzählt. Sein Film ist ein Gangster- und Kleine-Leute-Movie, eine Art Kurzgeschichte aus den Träumen seiner Freunde und Angehörigen – der erste aus der Binnenwelt der Beurres und Sans Papiers. Kaum nötig zu erwähnen, dass Ameur-Zaïmeche seine zornige Reportage selbst geschrieben und produziert hat und seine Eltern, Brüder und Freunde typische Lebensläufe darin verkörpern.

Es geht um eine Familienkonstellation, die sich in Berlin, London oder Detroit ähnlich abspielen könnte. Ameur-Zaïmeche kennt die Gegend im Department Seine-Saint-Denis bei Paris: ein Getto arabischer Immigranten, die in Betonkästen leben und aus dem Kreislauf von Arbeitslosigkeit, Kriminalität und Polizeiübergriffen nicht herausfinden. Opfer-Pathos erspart sich dieser Film, stattdessen richtet er seinen Blick auf den Zerfall alter Familienstrukturen, auf die Brutalität der Polizei und die Macht der staatlichen Ausgrenzungsmechanismen.

Der Riss geht durch die Familie. Erzählt wird aus der Perspektive der Söhne, die es auf die eine oder andere Weise nicht schaffen. Der älteste, Kamil, gespielt vom Regisseur, kehrt als Illegaler stigmatisiert aus Marokko zurück. Nachdem er einige Delikte begangen hat und auf Betreiben der selbstherrlichen Revierbullen ins Land seiner Eltern abgeschoben worden ist, hat er keine Papiere mehr. Das Land, in dem er geboren wurde, hat ihn ohne Chancen auf legale Rückkehr hinausgeworfen. Schwarzarbeit ist zu gefährlich für die lokalen Unternehmer, ein Job wird ausgerechnet für den zur Illusion, der mit den krummen Sachen Schluss machen will.

Daneben die Parallelwelt der jüngeren Brüder und ihrer Clique, die vor dem Wohnblock herumlungern, sich zum Kartenspielen in sturmfreien Buden treffen und schnelle Autos knacken. Die Jungs leben gut vom Dealen, verstricken sich aber zwangsläufig in Revierkämpfe und den Kleinkrieg mit der Polizei, die kräftig mitverdient. Selten sah man die Warenzirkulation von Haschisch so beiläufig als ernüchternde Geschäftemacherei wie aus der Innensicht der coolen Jungs in diesem Film.

Mädchen kommen in dieser Welt kaum vor, sieht man einmal von Kamils Schwester ab, die sich als arbeitende Single-Frau an die Standards der französischen Gesellschaft anzupassen scheint. Kamils Beziehung zu einer Französin scheitert an Fremdheit und Sprachlosigkeit.

Mehr Raum hat in „Wesh, Wesh“ das Porträt der traditionell eingestellten Eltern, die die Lieblingssöhne lange verwöhnen, von ihnen die Einhaltung der überkommenen sozialen Spielregeln ihrer Kultur fordern und zum Beispiel Ehefrauen für sie aussuchen, im Übrigen aber die Augen vor der tatsächlichen Schattenwirtschaft ihrer hoffnungslosen Brut verschließen.

Sentimentalität ist Ameur-Zaïmeches Erzählstil fremd. Aber seine zornige Klarsicht zeigt winzige Ausfluchten: Kamil lässt sich von den Kindern seiner Straße zeigen, wo man fischen gehen kann. Der Impuls, wieder an diesen Ort kindlicher Entlastung zurückzukehren, führt am Ende zum Schauplatz des Showdowns zwischen der Polizei und ihrem Opfer.

„Wesh, Wesh, qu’est-ce qui se passe?“, Regie: Rabah Ameur-Zaïmeche. Mit Rabah Ameur-Zaïmeche, Brahim Ameur-Zaïmeche, Madjid Benharoudj u. a., Frankreich 2001, 83 Minuten